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Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) spricht am Donnerstag bei einer Sondersitzung des Nationalrates im Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg.

© Roland Schlager/APA/dpa

Österreich: Eine Rolle rückwärts

Nach dem Ende des „Systems Kurz“ in Österreich haben in der ÖVP wieder die alten Granden das Sagen. Mit Nehammer übernimmt ein Parteisoldat die Kanzlerschaft.

Sebastian Kurz hatte die Farbe Türkis in die österreichische Politik eingeführt. Er ersetzte damit das bisherige Schwarz, das für seine konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) stand. Türkis, so fand der junge und nun wegen Korruptionsermittlungen von allen Ämtern zurückgetretene Ex-Bundeskanzler, sollte für eine neue ÖVP stehen, für eine Partei, die er ganz auf seine Person ausgerichtet hatte.

Der neue österreichische Kanzler und ÖVP-Vorsitzende Karl Nehammer will Türkis zwar weiter als Parteifarbe behalten – tatsächlich ist die ÖVP aber nach dem Abgang von Sonnyboy Kurz und einiger seiner Getreuen wieder zur alten, schwarzen Partei geworden. Nehammer war nicht von der Wiener ÖVP-Zentrale zum Kanzler ausgerufen worden, sondern, wie früher üblich, von den Parteigranden in den Bundesländern. Deren Einfluss hatte Sebastian Kurz massiv gestutzt, jetzt sind sie wieder da.

Es geht gerade Schlag auf Schlag in der österreichischen Politik. Nehammer ist von Bundespräsident Alexander van der Bellen vereidigt worden – als bereits sechster Kanzler innerhalb von fünf Jahren. Zuvor war Alexander Schallenberg (ebenfalls ÖVP) mit einem Kurzzeit-Rekord zurückgetreten: Nach nur 52 Tagen im Amt gab er auf, als Kurz sich mit dem Rücktritt vom ÖVP-Partei- und vom Fraktionsvorsitz ganz aus der Politik verabschiedete. Bis dahin fungierte Schallenberg als Platzhalter, nun ist er, wie zuvor auch, Außenminister. Kurz stehen langwierige Ermittlungen und dann mutmaßlich ein Prozess bevor. Seine Begründung, dass er sich wegen seines neu geborenen Sohnes zurückzieht, wurde in Österreich allgemein als fadenscheinig angesehen.

Nehammer sagt, Kurz habe "unglaublich viel geleistet"

Kanzler Nehammer, bisher Innenminister, gilt als Hardliner innerhalb der ÖVP. In einem ersten Statement sagte er, er werde „Linie halten“ bei der restriktiven Haltung in Sachen Asyl und Migration. Der 49-Jährige distanzierte sich in keiner Weise vom gescheiterten Sebastian Kurz. Dieser habe „unglaublich viel geleistet“. Dennoch ist die Heldenzeit des 35-Jährigen vorbei. Ermittelt wird wegen des Vorwurfs der Korruption: Kurz und sein Umfeld sollen sich bei der Zeitung „Österreich“ die gewünschte Berichterstattung mit dem Schalten von Anzeigen erkauft haben – bezahlt vom Finanzministerium und damit vom Steuerzahler. Zudem soll eine Demoskopin gegen Extrahonorar Umfragen wunschgemäß im Sinne von Kurz gefälscht haben.

Der neue Kanzler Nehammer war einige Jahre lang Berufssoldat und stand danach in verschiedensten Funktionen im Dienst der ÖVP. Er wird immer wieder als treuer „Parteisoldat“ bezeichnet. Die ÖVP bildet eine Koalition mit den Grünen. Es ist nicht zu erkennen, dass Nehammer als Kanzler einen anderen politischen Kurs fahren möchte. Dafür gibt es aber einige neue Minister. Georg Blümel etwa, ein enger Vertrauter von Kurz, ist als Finanzminister zurückgetreten.

Ihm folgt der bisher wenig bekannte Staatssekretär Magnus Brunner. Innenminister wird der in Niederösterreich verwurzelte Gerhard Karner. Von ihm wird ein stramm konservativer Kurs erwartet.

Kaum eine Partei hat ein Interesse an Neuwahlen

In Wien wird nun über Neuwahlen spekuliert. Die letzte Wahl zum Nationalrat – dem Bundesparlament – fand erst Ende September 2019 statt. Diese war nötig gewesen, weil Kurz mit der rechtspopulistischen FPÖ als Koalitionspartner aufgrund der Ibiza-Affäre gebrochen hatte. Kurz siegte spektakulär mit 37,5 Prozent, während die FPÖ von 26 auf 16 Prozent abstürzte.

An einem erneuten Urnengang hat derzeit fast keine Partei ein richtiges Interesse. Die Grünen müssen befürchten, abgestraft zu werden, weil sie den rigiden Kurs der ÖVP bei Asyl und Migration mittragen. Und der ÖVP drohen nach dem Kurz-Debakel auch nur Verluste. Die FPÖ hat auch kaum Aussichten auf Erfolge. Ihr Vorsitzender Herbert Kickl hat die Partei im Zuge der Coronakrise weiter bis hin zum Rechtsextremismus radikalisiert.

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