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Der Altenpfleger Ferdi Cebi bei der Arbeit in Paderborn – er hatte in einer ZDF-Sendung der Kanzlerin die Situation in der Pflege geschildert.

© Guido Kirchner/dpa

Öffentlicher Dienst: Ein Triumph für Verdi – und gut für wichtige Berufe

Acht Prozent mehr Lohn, verteilt auf 33 Monate: Das klingt nach einem hohen Abschluss, ist aber nötig, um den öffentlichen Dienst aufzuwerten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Sechs Prozent gefordert und acht Prozent gekriegt – der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst ist erstaunlich. Tatsächlich haben sich die Bundesländer auf die vielen Prozente nur einlassen können, weil die sich auf 33 Monate verteilen. Die lange Laufzeit des Vertrags ist außergewöhnlich; bis in den Herbst 2021 haben die Länderfinanzminister nun Planungssicherheit bei den Personalkosten. Für die Einnahmen gilt das nicht. Wenn es ganz dumm kommt, die Konjunktur einbricht und die Schuldenbremse Spielräume verstellt, dann wird sich Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz noch an den Potsdamer Tarifpoker erinnern.

Der Verhandlungsführer der Länder hat drei Tage und Nächte mit Verdi-Chef Frank Bsirske an einem Tarifpaket gebastelt, in dem viele Wünsche und Sonderinteressen unterzubringen waren: Nicht nur mehr Geld für alle, sondern auch höhere Anfangsgehälter für Berufseinsteiger und bestimmte Beschäftigtengruppen in sogenannten Mangelberufen. Oder weil diese Gruppen – vor allem Erzieherinnen und angestellte Lehrer – sich besonders eifrig an Warnstreiks beteiligt haben und dafür belohnt werden wollen.

Das Bsirske-Kollatz-Paket kostet allein Berlin knapp 1,7 Milliarden Euro im Jahr, ungefähr gleichmäßig verteilt auf Angestellte und Beamte. Allein 150 Millionen Euro davon bekommen die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. Weil sie es wert sind, wie die Gewerkschaften meinen.

Die Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren insgesamt einen anderen Blick auf den öffentlichen Dienst und den Wert der Arbeit bekommen. Nach Privatisierungen und massivem Stellenabbau hat sich seit 2008 der Trend gedreht. Heute arbeiten rund 4,7 Millionen Menschen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge für Bund, Kommunen und Länder.

Allein in Berlin wurden seit 2017 fast 10.000 Arbeitskräfte zusätzlich eingestellt. Bislang war das kein finanzielles Problem, denn seit 2015 erzielt die wachsende Stadt Haushaltsüberschüsse. Aber auf dem zunehmend engen Arbeitsmarkt gehen Kollatz’ Argumente für den Staat als Arbeitgeber zunehmend ins Leere: Teilzeitmöglichkeiten, Arbeitsplatzsicherheit und Vereinbarung von Familie und Beruf gibt es inzwischen auch in der privaten Wirtschaft. Und mehr Geld sowieso.

Noch immer steigen die Gehälter langsamer als in der Wirtschaft

Seit 2000 sind die Tarifeinkommen im öffentlichen Dienst der Länder um 48,4 Prozent gestiegen, in der Wirtschaft insgesamt aber um 52,8 Prozent. In den exportstarken Industrien sogar um mehr als 60 Prozent. Diesen Rückstand holen die Länder mit einem saftigen Abschluss nicht auf. Und doch erhöht der Potsdamer Kompromiss die Attraktivität vieler Berufe, deren Relevanz für die Gesellschaft sich bislang nicht in der Vergütung zeigt. Künftig gibt es für Pflegerinnen und Erzieher einige hundert Euro extra, und die Zulage für angestellte Lehrer steigt von 30 auf 105 Euro. Ob das den Trend zur Verbeamtung von Lehrern stoppen kann, ist indes zweifelhaft.

Frank Bsirske hat Tarifgeschichte geschrieben, als er sich 2005 der Reform des öffentlichen Tarifrechts, der Abschaffung des verstaubten BAT, nicht verweigerte. Damals waren die Zeiten hart für die Gewerkschaften, die Einkommen im öffentlichen Dienst stagnierten oder fielen sogar.

Mit dem Potsdamer Abschluss hat Bsirske seine letzte große Tarifauseinandersetzung bestanden. Im Herbst geht der Verdi-Vorsitzende in Rente. Sein Nachfolger Frank Werneke hat dann zwei Jahre Zeit, um sich auf den ersten Tarifkonflikt mit den Ländern vorzubereiten. Auch ein Vorteil der langen Vertragslaufzeit.

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