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Der Name Halit Yozgat steht neben weiteren Namen der NSU-Mordopfer auf einem Gedenkstein in Kassel. Im Münchner NSU-Prozess befasste sich das Gericht am 39. Verhandlungstag mit dem Mord an ihm.

© dpa

NSU-Prozess in München: Halit Yozgat: Kaltblütig und unerkannt ermordet

Es ist der neunte Mord des NSU an einem Migranten und er ist besonders kaltblütig gewesen, das zeigt der 39. Verhandlungstag im Mammutprozess um die Rechtsextremisten. Und noch etwas zeigt dieser Tag: Wie wenig die Polizei bei ihrem Ermittlungen an einen rassistischen Hintergrund glauben mochte.

Von Frank Jansen

Die Gespräche mit der Familie des ermordeten Halit Yozgat seien „sehr kooperativ und vertrauensvoll“ gewesen, sagte der ehemalige Polizist. Doch von sich aus erzählte der Pensionär vor Gericht nicht, dass die Polizei verdeckte Ermittler auf die Hinterbliebenen ansetzte und monatelang ihre Telefonanschlüsse überwachen ließ. Da musste erst der Vorsitzende Richter fragen. So wurde am Mittwoch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München erneut deutlich, dass die Angehörigen eines Mordopfers der rechtsextremen Terrorzelle nicht nur den Verlust des Angehörigen zu verkraften hatten, sondern auch die Verdächtigungen der Polizei, für die eine rassistische Tat kaum in Frage kam.

Mit dem Fall des am 6. April 2006 in Kassel erschossenen Yozgat hat der  Strafsenat die Beweisaufnahme zum  neunten und letzten Mord des NSU an einem Migranten begonnen. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten den 21 Jahre alten Deutschtürken in seinem Internetcafé getötet. Auch diese Tat lässt erkennen, dass die beiden Rechtsextremisten extrem kaltblütig agierten. Der Ex-Polizist berichtete, während der Tat seien in dem Ladenlokal außer dem Opfer vier weitere Personen anwesend gewesen. Und das Internetcafé habe an einer stark frequentierten Straße mit vielen türkischen Läden gelegen.

Dennoch betrat wenigstens einer der beiden Neonazis am 6. April 2006 gegen 17 Uhr den Laden und schoss dem an einem Schreibtisch sitzenden Yozgat zweimal in den Kopf. Das Opfer starb noch am Tatort. Die anderen Personen bekamen den Mord nicht mit. Denn auf der von Mundlos oder Böhnhardt eingesetzten Waffe, der auch bei den anderen Morden an den Migranten genutzte Ceska 83, war ein Schalldämpfer aufgeschraubt.

Der Vater fand kurz darauf den in einer Blutlache liegenden Sohn. In seiner Panik gelang es dem Vater nicht, eine der Telefonzellen im Internetcafé zu bedienen. Er rannte raus, ein anderer Migrant alarmierte dann über sein Handy die Polizei. „Der Vater war stark benommen“, sagte der ehemalige Beamte, der am Abend des Tattages bei den ersten Ermittlungen in dem Internetcafé eingesetzt war. Anschließend sei er zusammen mit einem Kollegen dafür zuständig gewesen, „eine mögliche Motivlage im Umfeld der Familie“ zu erforschen.

Er habe dem Vater des Ermordeten gesagt, „wir werden alles tun, um die Tat aufzuklären“. Und es sei „deshalb ganz wichtig, dass wir nichts auslassen, auch innerhalb der Familie“. Die Ermittlungen bei den Hinterbliebenen hätten jedoch keine Anhaltspunkte für eine Spur ergeben, sagte der frühere Polizist jetzt. Er tat so, als hätten sich  Familie und Polizei gut verstanden. Seine Kollegen und er hätten mit den Yozgats „an einem Strang gezogen“.

Doch die Harmonie erscheint zweifelhaft. Nicht nur, weil die Polizei verdeckte Ermittler auf die Familie ansetzte und ihre Telefonate abhörte. Der Vater des Ermordeten beschwerte sich bei der Polizei über die Ermittlungen. Aber das berichtete jetzt nicht der Ex-Beamte. Der Anwalt Thomas Bliwier, er vertritt mit zwei Kollegen die Nebenklage der Familie Yozgat, hielt dem früheren Polizisten einen brisanten Vermerk vor.

Den hatte ein türkischstämmiger Polizist geschrieben, den der Vater des Mordopfers in seiner Verzweiflung angesprochen hatte. Der Vater beschwor den Beamten, die Polizei solle aufhören, die Familie zu verdächtigen. Und er sei der festen Überzeugung, sein Sohn sei aus ausländerfeindlichen Motiven ermordet worden. Im Vermerk steht auch, dass der Vater glaubte, „das müsse ein Spinner sein, der wahllos Ausländer umbringt“. Es war bekannt, dass die Polizei den Mord in Kassel der bundesweiten Serie von Tötungsverbrechen an türkischstämmigen Kleinunternehmern und einem Griechen zuordnete.

Der Ex-Polizist reagierte matt auf den von Anwalt Bliwier präsentierten Vermerk. Er habe ihn „so konkret nicht in Erinnerung“, außerdem habe sich der Vater „uns gegenüber nicht so verhalten“.

Ob das stimmt, wird sich kommende Woche im NSU-Prozess zeigen. Für Montag ist der Vater des ermordeten Halit Yozgat als Zeuge geladen. Und zuvor soll eine Frau aussagen, die sich im Sommer mit einer brisant klingenden Geschichte an Bliwier gewandt hat. Die freiberufliche Journalistin behauptet, sie habe in der ersten Aprilwoche 2006 in Dortmund Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gesehen, zusammen mit einem bulligen Skinhead. Am 4. April 2006, zwei Tage vor dem Mord an Halit Yozgat in Kassel, hatten Mundlos und Böhnhardt in Dortmund den Deutschtürken Mehmet Kubasik in seinem Kiosk getötet. Die Anwälte der Familie Yozgat vermuten, Zschäpe könnte dann auch mit zum Mord in Kassel gefahren sein. Außerdem lege  die Aussage nahe, dass der NSU bei seinen Verbrechen örtliche Helfer hatte.

Das Bundeskriminalamt hat die Frau inzwischen vernommen. Einige Antworten klingen dubios. Auf die Frage, warum sie sich erst in diesem Jahr gemeldet habe, obwohl über den NSU seit November 2011 breit in den Medien berichtet werde, sagte die Zeugin, sie habe damals für sich „den Schluss gezogen“, so gravierende Dinge würden der Polizei auch ohne ihre Aussage bekannt.

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