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Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe beim 392. Verhandlungstag im NSU-Prozess im Jahr 2017.

© imago images/Sebastian Widmann

NSU-Prozess: Gericht will Urteil erst nach „Belehrung“ herausgeben

Medienvertreter sollen ein gerichtliches Hinweisschreiben unterzeichnen, bevor sie Zugang erhalten. Der Journalisten-Verband hat dafür kein Verständnis.

Mehr als 3000 Seiten hat das Urteil im NSU-Verfahren. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat es im April vorgelegt, es wurde auch schon über Inhalte berichtet, doch offiziell veröffentlicht ist das Urteil noch nicht. Jetzt sollen es zumindest anfragende Medien bekommen dürfen – aber grundsätzlich nur, wenn die Journalisten zuvor eine „Belehrung“ unterschreiben.

Am Montagnachmittag hat das Oberlandesgericht seine „Belehrung zur Überlassung von nicht rechtskräftigen Strafurteilen“ an Interessenten verschickt. „Zur Klarstellung“ wird darauf hingewiesen, dass Medienvertreter eigenverantwortlich zu prüfen hätten, „ob die Veröffentlichung von Urteilsinhalten den allgemeinen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt“. Medien hätten „gesteigerte Sorgfaltspflichten“ zu beachten. „Es gelten die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung“. Denn die Schuld von Beate Zschäpe, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, und einiger ihrer Mitangeklagten ist noch nicht rechtskräftig festgestellt. Der Bundesgerichtshof wird darüber in der angekündigten Revision befinden. Erst "nach Eingang des unterzeichneten Belehrungsformulars" sollen Interessenten ein Passwort erhalten, das ihnen den Zugang zum Urteil ermöglicht, hieß es.

Gerichte sind zur Herausgabe von Urteilen verpflichtet

In Branche stößt das Vorgehen des Münchner Gerichts auf Befremden. „Es ist überflüssig und eine unnötige Hürde, dass das Oberlandesgericht sich von den Journalisten eine Belehrung unterschreiben lässt“, sagt der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Frank Überall. Journalisten wüssten, wie sie mit Gerichtsurteilen umzugehen hätten, insbesondere in puncto Persönlichkeitsschutz, so Überall. „Da stellt der Pressekodex klare Regeln auf, die von Journalistinnen und Journalisten akzeptiert sind.“

Das Verhalten des Gerichts steht zudem in Kontrast zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 2015 stellten die Karlsruher Richter klar, dass „grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen“ bestehe, auch wenn diese noch nicht rechtskräftig seien. Mit dieser Pflicht korrespondiere der presserechtliche Auskunftsanspruch, wie er in den Landespressegesetzen geregelt sei.

Belehrungen gehörten bisher nicht zur Praxis

Demnach sind Gerichte prinzipiell verpflichtet, Strafurteile auf Medienanfragen hin im Volltext mitzuteilen, soweit nicht im Einzelfall schutzwürdige Belange einer Auskunft entgegenstehen. Das scheint im NSU-Verfahren nicht gegeben zu sein. Dass die Erfüllung des Auskunftsanspruchs von der Unterschrift unter eine „Belehrung“ abhängig gemacht wird, ist nicht vorgesehen und gehörte bisher auch nicht zur Praxis der Gerichtsverwaltungen.

Am Dienstag reagierte das OLG auf die Kritik und stellte klar, dass die "Überlassung des Urteils selbstverständlich nicht von der Unterzeichnung des Formblattes abhängig gemacht" werde. Der Hinweis auf die Rechtslage sei im Interesse der Medienvertreter und im Interesse des Persönlichkeitsschutzes der im Urteil genannten Personen erfolgt.

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