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Beate Zschäpe und ihr Wunschverteidiger Mathias Grasel beim NSU-Prozess.

© dpa

NSU-Prozess - der 260. Tag  : Gab es Verbindungen zur Organisierten Kriminalität?

Im NSU-Prozess trat am Dienstag ein ehemaliges Bandenmitglied auf, das eine Beziehung zwischen den Rechtsterroristen und der Organisierten Kriminalität nahelegt.

Von Frank Jansen

Im NSU-Prozess sind schon viele schräge Figuren aufgetreten, am Dienstag ist wieder eine zu besichtigen. Der Zeuge aus Thüringen ist ein alternder Hüne, der Schädel fast kahl rasiert, am linken Hals ist eine Tätowierung zu erkennen. „Ich war Bandenmitglied“, sagt der fast 50 Jahre alte, aber deutlich älter aussehende Mann, der sich offenbar nicht ohne Stolz zu seiner Zeit im Milieu der organisierten Kriminalität und zu den Deals mit Waffen und Drogen bekennt. Auch wenn er für seine Taten zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Und er deutet bei seinem Auftritt im Oberlandesgericht München an, dass es Verbindungen zu Neonazis gab.

Der Zeuge zeigt sogar auf die Angeklagten Ralf Wohlleben, André E. und Holger G., deren Gesichter ihm bekannt vorkommen. Da ist eine brisante Geschichte zu ahnen, vor allem mit Blick auf die Waffen der Terrorzelle NSU. Doch der Zeuge hat offenbar Angst, zuviel zu sagen.

Die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, ob er Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekannt habe, will der Zeuge nicht beantworten. Täte er es doch, müsse er mit „nem Schuss in den Kopf“ rechnen. Aber er sagt dann Sätze wie „Jena ist eine Kleinstadt, da kennt jeder jeden. Damit erübrigt sich Ihre Frage.“ So bleibt offen, ob die beiden NSU-Mörder womöglich Waffen über den Zeugen und seine Bande bekommen haben. Die Frage ist von zentraler Bedeutung.

Bis heute ist unklar, woher ein Großteil des Arsenals der Terrorzelle stammte. Und wie viele Waffen der NSU überhaupt besaß. Die Polizei fand im November 2011 bei den Leichen von Mundlos und Böhnhardt in einem Wohnmobil in Eisenach sowie in der von Beate Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau insgesamt 20 Waffen, darunter auch Maschinenpistolen.

Seine Bande habe in den 1990er Jahren „in Erwägung gezogen, die rechte Szene in Jena mitzubewaffnen, weil die uns hätte unterstützen können“, sagt der Mann. Das regionale Drogen-Rotlicht-Waffen-Milieu fühlte sich durch ausländische Konkurrenten herausgefordert. Der Zeuge nennt Tschetschenen und Polen und spricht von gewaltsamen Auseinandersetzungen, die für einige Mitglieder seiner Bande tödlich endeten. Er weiß auch noch, dass seine Truppe Waffen von abziehenden russischen Soldaten sowie aus der Schweiz und aus Italien bezog. Und dass mit dem Schießgerät viel gehandelt wurde. Der Zeuge erwähnt auch vier Depots, eines hatte er hinter seinem Haus angelegt, „da waren Maschinenpistolen und Handgranaten“. Die seien dann nach der Haftstrafe sein „Startkapital“ gewesen.

Fragen zu Kontakten zur NSU weicht er aus

Fragen zu Kontakten mit den mutmaßlichen Mitgliedern des NSU und des Umfelds der Terrorzelle weicht der Zeuge jedoch aus. Mal will er sich nicht erinnern können, mal gibt er sich stur und betont, er werde keine „anständigen Bürger“ belasten, mit denen er früher zu tun hatte. Und der NSU-Prozess überhaupt ist ihm zuwider, „die ganze Kacke hier“. Richter Götzl bleibt geduldig. Die mögliche Spur der NSU-Waffen zur organisierten Kriminalität will er weiterverfolgen.

Im Prozess sollen auch die Anführer der Bande des Zeugen, zwei Thüringer Brüder befragt werden. Die Zwillinge  waren für diesen Mittwoch geladen, doch dazu kommt es nun nicht. Da der Zeuge am Dienstagmittag erklärt, er werde nur noch im Beisein seines Anwalts aussagen, bricht Götzl die Befragung ab. Sie soll aber fortgesetzt werden, wahrscheinlich aber nicht ohne einen Juristen an der Seite des Zeugen. Dass Götzl sich damit auf eine weitere Verzögerung der Hauptverhandlung einlässt, zeugt offenbar von der Bedeutung, die er der Ausssage des Zeuge beimisst.  

Von den Auftritten der zwielichtigen Figuren hofft offenbar auch der  Angeklagte Wohlleben zu profitieren. Er bestreitet, die Mordwaffe Ceska 83 beschafft zu haben, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Der Angeklagte Carsten S. hatte in seinem Geständnis zu Beginn des Prozesses Wohlleben und auch sich selbst belastet. Die Bundesanwaltschaft wirft beiden Männern Beihilfe zu neunfachem Mord vor. Doch Wohlleben behauptet, er habe für den NSU keine Waffe besorgt. Und er bezweifelt, dass die Pistole samt Schalldämpfer, mit der Carsten S. im Frühjahr 2000 zu ihm kam, überhaupt die Ceska war.

Wohlleben und seine Verteidiger scheinen an einer Theorie zu basteln, in der Bande des Zeuge vom Dienstag eine Rolle spielt. Der mutmaßlich erste private Besitzer der Ceska, der Schweizer Hans-Ulrich M., hat 2014 der Polizei in seiner Heimat gesagt, er kenne die Zwillingsbrüder aus Thüringen. Sollte M. mit den beiden Chefs der Bande in Kontakt gestanden haben, wäre es denkbar, dass die Ceska über diesen Weg direkt an die NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt gelangt ist. Naheliegend ist jedoch eher, dass die Zwillinge Teil der Lieferkette waren, über die Pistole, Schalldämpfer und Munition aus der Schweiz zu Carsten S. und Wohlleben gelangten. Dass Carsten S. in seinem Geständnis fälschlich sich und Wohlleben als Beschaffer der Ceska belastet hat, glauben weder Götzl und seine Kollegen noch der Bundesgerichtshof (BGH). Die Münchner Richter lehnten Anträge der Verteidiger Wohllebens auf Entlassung ihres Mandanten aus der Untersuchungshaft ab und verwiesen mit Hinweis auf die Angaben von Carsten S. auf den weiterhin dringenden Tatverdacht. Als Wohllebens Anwälte sich beim BGH beschwerten, erhielten sie vor einem Jahr aus Karlsruhe eine nahezu gleichlautende Antwort.  

Am Dienstag wurde zudem am Rande des Prozesses bekannt, dass Götzl den Befangenheitsantrag überstanden hat, den Zschäpe in der vergangenen Woche gestellt und selbst geschrieben hatte. Das Ablehnungsgesuch sei als unbegründet zurückgewiesen, teilte die Sprecherin des Oberlandesgerichts München mit.

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