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Die Angeklagte Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht in München.

© dpa

NSU-Prozess: Das Grauen eines Attentats - in sachlichem Ton

Bei einem NSU-Anschlag im Januar 2001 wurde die Tochter eines iranischen Geschäftsinhabers in Köln schwer verletzt. Sie hat sich inzwischen wieder ins Leben zurückgekämpft. Vor dem Oberlandesgericht in München schildert sie das Attentat. Trotz ihres souveränen Auftritts vor Gericht ist ihre Traumatisierung zu spüren.

Von Frank Jansen

Sie spricht souverän und  erlaubt sich in ihrer Aussage kaum eine Emotion. In sachlich klingendem Ton berichtet die Frau Anfang 30 vom schlimmsten Tag in ihrem Leben. „Ich habe mich hingesetzt, in dem Moment ist die Bombe explodiert“, sagt sie,  „lauter Knall, helles Licht, dann wurde alles dunkel“. Sie habe auf dem Boden gelegen und nichts sehen können, „die Augen waren zugeklebt durch die starken Verbrennungen“. Sie habe erst auch nicht rufen können. Dann hätten ihre Eltern sie aus dem hinteren Raum nach vorne ins Ladenlokal getragen. Es sei ein Krankenwagen gekommen, in der Klinik sei sie ins künstliche Koma versetzt worden. Einige Sätze klingen, als spreche die Frau über eine andere Person.

Der Ton lässt jedoch das Grauen fast noch authentischer wirken als Wehklagen und Tränen. Wenn die Frau eine Pause einlegt, herrscht Stille im Gerichtssaal. Die Aussage ist wieder einer dieser fast unerträglich beklemmenden Momente im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Die Frau, die ihren Namen nicht veröffentlicht haben möchte, wurde am 19. Januar 2001 bei einem besonders perfiden Anschlag der rechtsextremen Terrorzelle in Köln schwer verletzt. Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt hatten kurz vor Weihnachten 2000 im Lebensmittelgeschäft der aus dem Iran stammenden Eltern der Frau in der Probsteigasse einen Präsentkorb stehen gelassen. Der Täter sagte, er habe sein Portemonnaie vergessen und komme gleich wieder. Doch er blieb weg. Die Mutter der Frau brachte den Korb in einen hinteren Raum und stellte ihn auf einen Schreibtisch. Vollkommen arglos.

Im Korb lag zwischen Lebensmitteln eine Christstollendose. Die Frau, damals noch Schülerin, war neugierig. „Ich wollte die Dose öffnen, doch meine Mutter sagte, das ist nicht unser Eigentum“, erinnert sich die Frau. Vielleicht komme der Kunde noch, habe die Mutter gesagt. Am Morgen des 19. Januar 2001, kurz vor dem Gang in die Schule, öffnete die Frau die Dose dann doch, „ganz leicht“. Sie sah eine Campinggasflasche und dachte, „das ist aber ein seltsames Geschenk“. Der Sprengsatz allerdings explodierte nicht sofort, wie Aussagen von Polizisten am Dienstag noch suggeriert hatten. Die Frau machte den Deckel wieder zu und ging um den Schreibtisch herum, um etwas aus einer Schublade zu holen. Als sie mit dem Kopf in Höhe der Schreibtischplatte hockte, ging die Bombe mit einer Stichflamme hoch. Unzählige Splitter flogen durch die Luft.

Das Opfer lag eineinhalb Monate im künstlichen Koma

Die Detonation verwüstete den ganzen Raum, selbst vorne im Ladenlokal zerbarst die Schaufensterscheibe. Laut Anklage steckte in der Gasflasche mehr als ein Kilo Schwarzpulver. „Es war Gottseidank zufällig sieben Uhr“, sagt die Frau, „wo der Laden noch nicht aufgemacht hatte“. Sonst wären dort um die 20 Personen gewesen.

Sie habe eineinhalb Monate im künstlichen Koma gelegen, sagt sie. Die Beatmung führte zu einer schweren Lungenentzündung. Weit schlimmer noch waren die schweren Verbrennungen und die vielen Schnittwunden. Und der Bruch der rechten Augenhöhlenwand und die geplatzten Trommelfelle. Außerdem hatte das Schwarzpulver im ganzen Gesicht Spuren hinterlassen. „Als ich das erste Mal in einen Spiegel sah, war ich einfach nur erschrocken“, sagt die Frau. Ein Polizist, der vor ihr am Mittwoch aussagt und der sie in dem Klinikum aufgesucht hatte, berichtet sogar mit stockender Stimme, die Frau habe mit ihrem verbrannten Körper ausgesehen „wie ein Stück Grillfleisch“. Die fünf Angeklagten gucken starr vor sich hin.

Die Frau hat sich in ihr Leben zurückgekämpft. Mit der Hilfe ihrer Familie, ihrer damaligen Schule, ihrer Freunde und von Ärzten, die sie mehrmals operierten. Im November 2001 konnte sie das Abitur nachholen, das im Sommer fällig gewesen wäre. Dann verließ sie Köln „um einfach auch Abstand zu gewinnen“. Sie studierte und wurde Ärztin. Vielleicht erklärt das auch den sachlichen Ton, wenn die Frau über ihre Verletzungen spricht, über „Schmutztätowierungen“ im Gesicht. Und über weitere Folgen des Anschlags.

Die Eltern verkauften nach dem Anschlag das Geschäft

Die Eltern hätten das Geschäft verkauft, sagt sie, „für meine Mutter war es nicht tragbar, den Laden wieder zu betreten“. Den materiellen Schaden, den die Familie erlitt, schätzt die Frau auf „einige zigtausend Euro“. Dennoch hatten Eltern und Geschwister immer noch Kraft, ihr soviel Rückhalt zu geben, dass sie auf eine psychiatrische Behandlung verzichtete. Die Traumatisierung ist jedoch, trotz des souveränen Auftritts, zu spüren.

Nachdem die Kölner Polizei die Ermittlungen eingestellt hatte, weil kein Täter zu finden war, ging es der Frau, auch wenn es paradox klingt, zunächst psychisch etwas besser. Beamte hatten ihr gesagt, sie sei vermutlich ein Zufallsopfer gewesen, bei der Tat gebe es wohl keinen persönlichen Bezug. „Damit konnte ich gut abschließen“, sagt die Frau. Doch dann kam der November 2011. Und der Schrecken kehrte zurück.

Nach dem Ende des NSU erfuhren die Frau und ihre Familie, dass die Terrorzelle sie gezielt wegen ihrer nicht-deutschen Herkunft angegriffen hatte. Im Fernsehen wurden Teile des erst im November 2001 bekannt gewordenen Bekennervideos des NSU ausgestrahlt, da glorifizieren die Neonazis ihren  Bombenanschlag in der Probsteigasse. „Ich stand unter Schock, wo da mein Name drin vorkam“, sagt die Frau. Sie überlegte sogar, Deutschland zu verlassen. „Zu wissen, es gibt Menschen, die dich wegen deiner Herkunft so attackieren, um einen umzubringen . . .“ Sie habe sich gefragt, „was soll ich denn noch hier?“ Sie habe sich soviel Mühe gegeben, „ich bin ein Muster an Integration“. Aber dann habe sie doch entschieden, „nee, ich bin hier zuhause, so leicht lasse ich mich aus Deutschland nicht wegjagen“.

"Mit der Verletzung muss ich leben"

Angst machen ihr allerdings auch die vielen Berichte über Ermittlungspannen im NSU-Komplex. Es sei immer noch nicht klar, ob die Täter von 2001 Helfer hatten, sagt die Frau. Und sie fragt sich, „laufen die noch frei herum?“ Als sie vor einiger Zeit sah, dass ihre Garage offen war, habe sie sich gebückt um nachzuschauen, „ist da eine Bombe platziert“.

Äußerlich ist der Frau heute kaum anzusehen, dass sie nur knapp eine Bombenexplosion überlebt hat. Sie schminkt ihr Gesicht, die Narben sind im Gerichtssaal von der Tribüne der Journalisten aus nicht zu sehen. Aber vielleicht aus nächster Nähe. Es störe sie, dass sie täglich auf die Verletzungen im Gesicht angesprochen werde, „ich weiß nicht, was man antworten soll“. Das nervt sie noch mehr als die verminderte Hörleistung im rechten Ohr und die Splitter, die weiter in ihr stecken. „Mit der Verletzung muss ich leben“, sagt sie. Den sachlichen Ton hält sie durch bis zuletzt.      

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