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Ein Plakat mit der Angeklagten Beate Zschäpe wird auf eine Demonstration vor dem OLG München mit roter Farbe übermalt.

© dpa

NSU-Prozess am OLG München: Hass auf Juden und Ex-Kanzler

Die frühere Freundin des Neonazis André K. gibt im Verhandlungssaal des Münchener Oberlandesgerichts einen finsteren Einblick in die braune Szene. Sie berichtet von einer Geburtstagszeitung. Ein zynisches Heftchen, in dem auch von einer Todesliste mit potentiellen Opfern die Rede ist.

Von Frank Jansen

Beate Zschäpe kommt bei ihrer ehemaligen Bekannten nicht gut weg. Die Zeugin erinnert sich im NSU-Prozess an einen Abend im Jahr 1997 in Zschäpes Wohnung in Jena, bei dem es Erdbeerschaumwein gab, „den fand ich unfassbar eklig“. Und dann war da noch „Wally“. So habe Zschäpe eine Pistole genannt, sagt die Frau am Donnerstag im Oberlandesgericht München. Sie wisse allerdings nicht, ob es sich um eine scharfe Waffe gehandelt habe. Jedenfalls hatte Zschäpe offenbar auch ein Holster. Die Zeugin spricht von einem Gurt, in dem Zschäpe die Pistole getragen haben soll, unter der Jacke. Der „Mädchenabend“ aus der Zeit, bevor Zschäpe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untertauchte, scheint ein seltsames Vergnügen gewesen zu sein. So ist auch der 93. Verhandlungstag wieder ein Blick ins bräunliche Panoptikum.

Die Zeugin war damals die Freundin des Neonazis André K., eines Anführers der Szene in Jena und heute einer der Beschuldigten im NSU-Komplex. André K., der bereits umfassend im Prozess befragt wurde, sich aber an kaum etwas erinnern konnte, soll Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in den ersten Monaten im Untergrund unterstützt haben. Im Sommer 1998 war er in Südafrika, nach Ansicht von Ermittlern erkundigte sich André K. dort nach einem Versteck für die abgetauchten Drei. Als der Neonazi zurückkam, überraschten ihn seine Freundin und weitere „Kameraden“ mit einer selbst gebastelten Geburtstagszeitung. André K. war in Südafrika ein Jahr älter geworden. Das zynische Heftchen hatte maßgeblich seine Freundin mitgestaltet.

"Ironische Überspitzung"

Im Prozess spricht sie von einem „Machwerk“, das sie heute schockiert, „ich schäm’ mich total dafür“. Mit der rechten Szene habe sie schon lange nichts mehr zu tun. 1998 war die Frau zumindest eine Mitläuferin. Die von ihr gebastelte „Geburtstagspost“ ist geballter Hass, verpackt in Neonazi-Humor. Im Pamphlet ist von einer „Todesliste“ die Rede, als potenzielle Opfer werden Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Joschka Fischer und der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, genannt. An anderer Stelle werden auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sowie Ralf Wohlleben erwähnt, einer der Angeklagten im NSU-Prozess. Möglicherweise hat Wohlleben die „Geburtstagspost“ mitgestaltet. Jedenfalls nahmen seine Verteidiger mit der Zeugin Kontakt auf – schon einige Zeit vor ihrem Auftritt im Oberlandesgericht.

In einem Brief sei ihr mitgeteilt worden, die Geburtstagszeitung werde im Prozess voraussichtlich als „Hauptbeweismittel“ gegen Wohlleben eingesetzt, sagt die Frau. Außerdem bekam sie einen Link gemailt, in dem das Heftchen abgebildet ist. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hakt nach, „was wollten die Verteidiger von Ihnen?“ Die Frau sagt, sie habe das für sich „als bedrohlich empfunden“. Götzl fragt, ob sie Angst habe. Die Zeugin antwortet eilig, „nee, im Moment gar nicht“. Es fällt allerdings auf, dass sie sich bei Detailfragen des Richters zur Geburtstagszeitung nur schlecht erinnern kann. Und die Frau betont trotz ihrer heutigen Abscheu, es sei alles nur eine „ironische Überspitzung“  gewesen, als Reaktion auf die massive Verfolgung der rechten Szene durch Polizei und Verfassungsschutz nach dem Abtauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe.

Beklemmende Erklärung vom Vater des ermordeten Halit Yozgat

Die Aussage der Frau ist am Donnerstag nicht der einzige Anlass für  mulmige Momente. Vor dem Aufrtitt der Zeugin hat der Vater des in Kassel von Mundlos und Böhnhardt ermordeten Deutschtürken Halit Yozgat eine emotionale, beklemmende Erklärung verlesen. Ismail Yozgat schildert das Martyrium, das seine Familie nach den tödlichen Schüssen vom April 2006 durchgemacht hat, die falschen Verdächtigungen, das Geraune im Umfeld über angebliche Drogengeschäfte. „Wir haben zum allmächtigen Gott gebetet, gib’ uns Geduld und Widerstandskraft“, sagt Yozgat. Und er lässt seinem Schmerz freien Lauf. Weinend berichtet Yozgat, dass sein 2007 geborener Enkel auch den Namen Halit bekam und fünfeinhalb Jahre später an Krebs gestorben ist.

Der Saal erstarrt, Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer unterbricht den Vater und sagt, was Yozgat vortrage, gehe bei allem Verständnis zu weit. Doch Richter Götzl lässt Yozgat weiter reden. Hätte er gewusst, was der Vater noch vorträgt, hätte Götzl es womöglich verhindert.

Der Vater beschwört die Richter, sie sollten bestimmen, dass die Holländische Straße in Kassel in „Halit-Straße“ umbenannt werden. In der Straße sei der Sohn geboren, in der Straße sei er gestorben, sagt Yozgat. Dass in Kassel bereits ein Platz nach dem erschossenen Sohn benannt wurde, ist nicht das, was der Vater sich gewünscht hat und weiter wünscht. Götzl blickt starr durch seine randlose Brille in den Saal. Als Yozgat seine Erklärung beendet, reagiert Götzl mit ungewohnt sanfter Stimme. Er bedankt sich für Yozgats Worte und sagt dann, „wenn Sie die Hoffnung haben, wir hätten Einfluss auf die Benennung der Holländischen Straße, ist das nicht der Fall“.Das sei Sache der örtlichen Behörden. Ismail Yozgat sagt nichts. Götzl ruft die Zeugin auf und beginnt, sie zu befragen. 

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