zum Hauptinhalt
Beate Beate Zschäpe beim NSU-Prozess mit ihren Anwälten.

© dpa

NSU-Prozess - 77. Tag: Keine Grundlage für Verschwörungstheorien

Ku-Klux-Clan, rechte Szene und US-Geheimdienstmitarbeiter: Zum Mord des NSU an der Polizistin Michèle Kiesewetter gibt es viele wüste Theorien. Ein Beamter des BKA, der im Prozess aussagte, hat das nun alles dementiert.

Von Frank Jansen

Es gibt viele Fragen, auch wüste Theorien zum Mord des NSU an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Waren am Anschlag auf die Beamtin in Heilbronn womöglich Kollegen beteiligt, die einst dem Ku-Klux-Klan (KKK) angehört hatten? Gab es eine verhängnisvolle Verbindung zwischen diesem Milieu und der rechten Szene in Kiesewetters Heimatort in Thüringen – dem Land, aus dem auch die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt stammten? Und haben US-Geheimdienstler gemeinsam mit Verfassungsschützern am 25. April 2007 mitbekommen, wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf Kiesewetter und den neben ihr im Streifenwagen sitzenden Martin A. feuerten? Das Bundeskriminalamt winkt bei diesen Geschichten ab, auch wenn es früher selbst düstere Vermutungen angestellt hatte.

Keine Hinweise auf noch dunkleren Hintergrund der Tat

Ein Beamter des BKA hat am Mittwoch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München alles dementiert, was nicht zur Anklage der Bundesanwaltschaft passt. Dort steht, der NSU habe mit dem Angriff auf Polizeibeamte die „Auflehnung gegen das bestehende staatliche System zumindest symbolhaft“ zum Ausdruck bringen wollen. Nicht mehr, nicht weniger. Das Resultat war auch schlimm genug. Mit einem Kopfschuss wurde Kiesewetter regelrecht hingerichtet, ihr Kollege Martin A. überlebte knapp, leidet aber weiter unter den Folgen der Tat und hat weiterhin einen Teil des Projektils im Kopf. Hinweise, die auf  einen noch dunkleren Hintergrund der Tat schließen lassen, hat das BKA nicht.

Im Prozess nahm sich nun der junge Kriminalkommissar, der Recherchen seiner Behörde und des Landeskriminalamts Baden-Württemberg ausgewertet hatte, mehrere  Theorien vor. Fall eins, der Ku-Klux-Klan: Ja, ein Polizist, der dort früher Mitglied war, sei am Tag des Mordes an Kiesewetter ihr verantwortlicher Gruppenführer gewesen. Aber die Planung für den Einsatz der Beamtin „oblag nicht ihm“, sagte der BKA-Mann. Außerdem habe sich der baden-württembergische Ableger des rassistischen Geheimbunds, ein Trupp namens „European White Knights of the Ku Klux Klan“, bereits Ende 2002 aufgelöst.

Keine Verbindung zum Umfeld des NSU

Fall zwei: In der Garage in Jena, in der mutmaßlich Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe mit Sprengstoff hantierten, lag eine Adressenliste mit dem Namen eines KKK-Aktivisten. Thomas R. stand auf dem Papier mit dem Hinweis „Oi-Fan-Artikel“, also Devotionalien und Musik für Skinheads. Der Mann, der auch für den Verfassungsschutz spitzelte, soll zudem die „European White Knights of the Ku Klux Klan“ mitgegründet haben. Thomas R. habe jedoch bei einer Vernehmung gesagt, es habe keine Verbindung zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe oder zum Umfeld des NSU gegeben, sagte der BKA-Zeuge. Gegenteilige Erkenntnisse hat er nicht.

Fall drei: Ein Schwager des Angeklagten Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben betrieb eine Gaststätte nahe Kiesewetters Thüringer Heimatort. In dem Lokal gab es mindestens eine größere Veranstaltung mit Rechtsextremisten. Das erschien zunächst auch BKA-Präsident Jörg Ziercke ein hinreichend brisantes Detail zu sein, um Ende 2011 öffentlich zu vermuten, der Mord an Kiesewetter könnte „eine Beziehungstat“ gewesen sein. Doch das ist aus Sicht der Behörde längst Makulatur.

"Alles falsifiziert"

Kiesewetter sei nie in der Gaststätte gewesen, sagte der BKA-Zeuge. Und Wohllebens Schwager habe glaubhaft versichert, nach dem Abtauchen von  Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe im Jahr 1998 „gab es keinen Kontakt mehr“. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, ob Michèle Kiesewetter selbst Kontakte zur rechten Szene hatte, antwortete der Beamte schlicht „nein“.

Fall vier: Die Illustrierte „Stern“ berichtete im November 2011, aus einem geheimen Bericht des US-Militärgeheimdienstes DIA gehe hervor, dessen Mitarbeiter hätten gemeinsam mit Verfassungsschützern den Mordanschlag auf Kiesewetter und Martin A. in Heilbronn beobachtet – und die Observation eines Mitglieds der islamistisch-terroristischen „Sauerlandgruppe“ abgebrochen. Alles „falsifiziert“, sagte nun der Beamte des BKA. Die amerikanische Botschaft habe das geheime Protokoll als „nicht authentisch“ bezeichnet, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Landesämter Bayern und Baden-Württemberg hätten dementiert. Das gelte ebenso für die Angaben eines CIA-Mannes, der eine ähnliche Geschichte wie der „Stern“ berichtet hatte.

Fall fünf: Das BKA ging dem Hinweis nach, das Video einer Überwachungskamera am Bahnhof Heilbronn soll drei junge Männer und zwei Frauen gezeigt haben, darunter Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Doch die Bildqualität sei schlecht gewesen, sagte der Zeuge. Fazit: „Die Identitätsprüfung erbrachte keinen Identitätsnachweis.“

Zweifel an der Aussage

Der smarte BKA-Kommissar präsentierte die Ermittlungsergebnisse  ruhig und eloquent, als habe er keine Zweifel, dass man ihm glaubt. Das war ein Irrtum. Mehrere Nebenklage-Anwälte löcherten ihn mit Fragen. Und der Beamte hatte nicht auf alle eine Antwort. Er musste auch zugeben, ihm sei bekannt, dass ein Onkel Kiesewetters, ein Beamter der Polizei in Thüringen, nach dem Anschlag in Heilbronn von einer Verbindung zu den bundesweiten „Türkenmorden“ gesprochen hatte. Offen bleibt jedoch, wie der Verwandte der getöteten Beamtin darauf kam. 2007 wussten die Behörden noch nichts vom NSU und die Morde an neun Migranten wurden vornehmlich der organisierten Kriminalität zugeordnet.

Die vielen Fragen und Theorien zum Fall Kiesewetter haben sich am Mittwoch offenkundig nicht erledigt. Kommende Woche soll der BKA-Kommissar erneut im NSU-Prozess als Zeuge erscheinen.

Zur Startseite