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Die Angeklagte Beate Zschäpe (Mitte) im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München zwischen ihren Anwälten Anja Sturm und Wolfgang Heer.

© Tobias Hase/dpa

NSU-Prozess - 203. Verhandlungstag: Rekonstruktion des ersten Schwerverbrechens der Terrorzelle

Am 18. Dezember 1998 überfielen Mundlos und Bönhardt eine Edeka-Filiale in Chemnitz - mit Waffengewalt. Sie wollten sich wohl erstmals mit einem Raub Geld beschaffen - später folgten viele weitere.

Von Frank Jansen

Es war das erste schwere Verbrechen der Terrorzelle NSU und beinahe wäre schon ein Mensch getötet worden. Am 18. Dezember 1998 überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Edeka-Filiale in Chemnitz und raubten 30.000 D-Mark, auf der Flucht feuerten die Neonazis auf einen Jugendlichen, der sie verfolgte. „In der Rückwand waren zwei Einschusslöcher, so in der Höhe von ein Meter sechzig“, sagte am Montag eine Zeugin im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Die Frau war in dem Supermarkt als Kassiererin tätig, als der Überfall geschah. Nach Erkenntnissen der Polizei wurden sogar drei Schüsse abgegeben.

Die Zeugin und eine weitere Kollegin schilderten den dramatischen Ablauf. Gegen 18 Uhr entrissen Mundlos oder Böhnhardt, vermummt mit einem Tuch vor dem Gesicht, der Hauptkassiererin die Tasche mit den Einnahmen. Die Frau hatte das Geld gerade bei den Kassen eingesammelt, die Terroristen hatten offenbar im Supermarkt darauf gewartet und schlugen dann zu. Eine Kassiererin rief in ihr Mikrofon „Überfall!“ Mundlos und Böhnhardt ließen sich nicht irritieren, sie rannten mit der Tasche raus. Ein Jugendlicher nahm die Verfolgung auf. „Ich hörte zwei Knalle“, sagte am Montag eine Kassiererin. Ein Kunde habe gerufen, „draußen wird geschossen!“ Die Kugeln verfehlten den Jugendlichen, aber er lief den Räubern nicht weiter hinterher. Mundlos und Böhnhardt entkamen unerkannt.

Die Bundesanwaltschaft wertet die Tat nicht nur als schweren Raub, sondern auch als versuchten Mord. Beate Zschäpe, die in München vor Gericht steht, gilt für die Ankläger wie bei allen anderen Verbrechen des NSU als Mittäterin. Der Jugendliche, der seinen Mut beinahe mit dem Leben bezahlt hätte, bleibt allerdings unbekannt. Die Polizei konnte ihn nicht ausfindig machen.

Mit dem Überfall auf die Edeka-Filiale hatten Mundlos und Böhnhardt vermutlich erstmals gewaltsam Geld beschafft, um das Leben im Untergrund zu finanzieren. Elf Monate vor dem Raub waren die beiden Männer gemeinsam mit Zschäpe untergetaucht. Die drei verschwanden aus Jena und konnten sich in Chemnitz mit Hilfe von Rechtsextremisten verstecken. Finanziell hielten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bis zum Angriff auf den Supermarkt offenbar mit Spenden aus der Szene über Wasser. Möglicherweise gab dann einer der „Kameraden“ aus Chemnitz Mundlos und Böhnhardt den entscheidenden Tipp zum Überfall auf die Edeka-Filiale. Ein mutmaßlicher Unterstützer des NSU soll dort  gearbeitet haben. Er könnte gewusst haben, wann die Hauptkassiererin im Eingangsbereich das Geld aus den Kassen ihrer Kolleginnen einsammelte.

Die Hauptkassiererin, der Mundlos oder Böhnhardt eine Waffe vor die Brust gehalten hatten, war nach dem Überfall psychisch schwer angeschlagen. Die Frau habe ein Vierteljahr lang nicht arbeiten können, erinnerte sich jetzt im Prozess eine Kollegin, „sie hatte lange Angst“.

Mundlos und Böhnhardt begingen insgesamt mindestens 15 Raubüberfälle und erbeuteten mehr als 600.000 Euro. Nach dem Angriff auf den Supermarkt zogen es die Neonazis allerdings vor, Filialen der Sparkasse und der Post anzugreifen. Die Beute dort war meistens höher.  

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