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Die Angeklagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess in München.

© dpa

NSU-Prozess / 193. Tag: Carsten S. und der größte Fehler seines Lebens

Carsten S. war 19 Jahre alt, als er den Terroristen des NSU die Pistole übergab, mit der diese später neun Migranten erschossen. Trotzdem kommt Carsten S. wahrscheinlich glimpflich davon.

Von Frank Jansen

Er war knapp 20 Jahre alt, als er den größten Fehler seines Lebens beging. Anfang 2000 übergab Carsten S. in Chemnitz den NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Pistole Ceska 83. Mit der Waffe erschossen die beiden Neonazis neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft. Die Bundesanwaltschaft wirft Carsten S. Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor. Dennoch sieht es im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München so aus, dass der Angeklagte mit einer eher milden Strafe davon kommt. Erst recht seit diesem Mittwoch.

Der renommierte Psychiater Norbert Leygraf hat dem heute 35-jährigen Carsten S. in der Hauptverhandlung bescheinigt, seine „Persönlichkeitsbildung“ sei im Jahr 2000 beeinträchtigt und noch „erhebliches Entwicklungspotenzial“ vorhanden gewesen. „Mangelnde sexuelle Identitätsfindung bestimmte seine Handlungen mit“, sagte Leygraf, der an der Universität Duisburg-Essen das Institut für Forensische Psychiatrie  leitet. Leygraf hatte sich 2012 dreimal mit Carsten S. getroffen, der damals in Untersuchungshaft saß. Der Psychiater  trug am Mittwoch in München sein Gutachten vor.

Probleme mit seiner Homosexualität

In der schriftlichen Fassung wird Leygraf sogar noch deutlicher. Er betont schon im Schreiben an die Bundesanwaltschaft, „ernsthafte Anhaltspunkte“ sprächen dafür, dass Carsten S. „im Zeitraum der Tat  von seinem sittlichen und geistigen Entwicklungsstand her noch einem Jugendlichen gleichstand“. Als wesentlichen Punkt nennt Leygraf die Probleme des Angeklagten, sich damals als Mitglied der rechten Szene zu seiner Homosexualität zu bekennen. Das Coming out erfolgte erst, als Carsten S. noch im Jahr 2000 sich von dem herb männlichen, aber eben auch betont homophoben Milieu verabschiedete.

Angesichts des Gutachtens kann Carsten S. hoffen, der 6. Strafsenat werde ihn für die Tatzeit als Heranwachsenden einstufen, der noch nach Jugendstrafrecht zu verurteilt wäre. Außerdem hat Carsten S. im Prozess als einziger der fünf Angeklagten ein umfassendes Geständnis abgelegt und sich dazu befragen lassen. In seinen Aussagen belastete er den mitangeklagten Ex-NPD-Funktionär Ralf W. schwer. Dieser soll die Beschaffung der Waffe für den NSU eingefädelt haben. Das Bundeskriminalamt bewahrt Carsten S. mit einem Zeugenschutzprogramm vor der Gefahr rechtsextremer Racheakte.

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