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Wissen die, dass wir wissen, dass sie wissen, dass wir wissen?

© dpa

NSA-Abhör- und Spionageaffäre: Transatlantische Schieflage

Während die deutsche politische Elite genau weiß, was sie an einer weiterhin engen Zusammenarbeit mit den Amerikanern hat, macht sich im Volk das Gefühl breit, durch die NSA erniedrigt worden zu sein. Das Ergebnis ist eine Schieflage. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Die Regierung eines Volkes ist mehr als dessen Sprachrohr und Vollzugsorgan. Manchmal müssen sich die gewählten Repräsentanten in ihren Entscheidungen frei machen von Stimmungen und Missstimmungen. Gegen West-Bindung, Ostpolitik, Nato-Nachrüstung oder Euro- Einführung gab es starke gesellschaftliche Widerstände. Mehrheiten wiederum fanden sich zu den Thesen Thilo Sarrazins, der kommerziellen Sterbehilfe, einem Beschneidungsverbot. In einer Allensbach-Umfrage vom Februar 1949 sprachen sich 77 Prozent der Westdeutschen für die Todesstrafe aus. Etwa zur selben Zeit wurde sie durch Artikel 102 des Grundgesetzes abgeschafft. Man kann nur sagen: zum Glück!

Was im Binnenverhältnis gilt, lässt sich auch in den Beziehungen zu anderen Staaten beobachten. Wäre China für die deutsche Exportwirtschaft nicht ein eminent wichtiger Absatzmarkt, dürfte die Kritik an den Menschenrechtsverletzungen dort lauter ausfallen. Wäre die Gründung des Staates Israel als Heimstätte des jüdischen Volkes nicht auch ein Ergebnis der massenmörderischen deutschen Politik in der Zeit des Nationalsozialismus, gäbe es heute keine regelmäßigen Regierungskonsultationen sowie eine Bundeskanzlerin, die beteuert, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei.

Seit geraumer Zeit belastet die Abhör- und Spionageaffäre, die seit den Enthüllungen durch Edward Snowden ins Rollen gekommen ist, die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Im Stakkato- Rhythmus folgte Schock auf Schock. Massenhafte Datenerfassung, gezieltes Anzapfen der Telefone hochrangiger Politiker, und das Ganze geht offenbar seit vielen Jahren schon so. Und das Ergebnis? Eine empörte Öffentlichkeit trifft auf eine wehr-, tat- und ratlose politische Elite. Eher verzweifelt wirken deren Verhandlungen um ein No-spy-Abkommen, bemüht die Schlussstrich-Erklärungen, unbeholfen die Protestnoten wie die Ausweisung eines Diplomaten oder die Einbestellung des Botschafters.

Kein anderes Land hat einen Snowden hervorgebracht - das ist das Pech der Amerikaner

Doch was tun? Selbst Oppositionspolitikern der Linken, die sonst nie um derbe Worte verlegen sind, fällt außer Gemeinplätzen wie „nicht länger bieten lassen!“ oder „Rückgrat zeigen!“ wenig ein. Kein Wunder. Denn der doppelte Einwand – die Amerikaner können, erstens, ziemlich viel, und zweitens hält sich auch der BND im Ausland nicht immer streng an Recht und Gesetz – lässt sich nur schwer entkräften. Kein anderes Land hat einen Snowden hervorgebracht. Das ist das Pech der Amerikaner. Und eben der Deutschen, weil sie seitdem als bevorzugtes Opfer der Amerikaner dastehen.

Die Folge ist eine transatlantische Schieflage. Während die deutsche politische Elite genau weiß, was sie an einer weiterhin engen Zusammenarbeit mit den Amerikanern hat – „wir brauchen einander mehr denn je“, sagt Außenminister Frank-Walter Steinmeier –, macht sich im Volk das Gefühl breit, erniedrigt worden zu sein. Da diesem Gefühl die Ventile fehlen, laufen sie ins Leere. Gesund ist dieser Zustand nicht. Einmalig aber ist er auch nicht (siehe oben). Das freilich ist nur für den ein schwacher Trost, der sich in dieser Frage trösten lassen will.

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