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Probe sitzen im Elysée-Palast: Marine Le Pen zu Besuch bei Präsident Emmanuel Macron.

© PHILIPPE WOJAZER/AFP

Notfallpläne in Berlin und Brüssel: Was, wenn Marine Le Pen die Stichwahl gewinnt?

Europaabgeordnete und Experten warnen: Ihr Sieg ist möglich, aber die EU und Deutschland sind auf eine rechte Präsidentin schlecht vorbereitet.

Die Nervosität steigt in Paris, Brüssel und Berlin. Ist das denkbar, dass die Rechtspopulistin Marine Le Pen die Stichwahl gewinnt und Präsidentin wird? Hat Europa eine Notfallplanung, wie es dann reagiert – und hat die Bundesregierung eine?

Noch verlassen sich die Optimisten darauf, dass Emmanuel Macron im ersten Wahlgang klar vor Le Pen lag, mit größerem Vorsprung als 2017. Und die unterlegenen bürgerlichen Kandidaten zu seiner Wahl aufrufen.

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Die Pessimisten warnen, wenn man zu Le Pens Ergebnis das des rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour addiere, liege das rechte Lager vor dem Amtsinhaber.

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Zwei weitere Risiken: Auch Anhänger des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon könnten in der Stichwahl für Le Pen stimmen. Der entscheidende Gegensatz heute sei nicht mehr Rechts gegen Links, sondern Zentrum gegen die Ränder auf beiden Seiten.

Und viele machen sich Sorgen, dass Macron anders als 2017 keinen Aufbruchselan mehr verkörpert und eine niedrigere Wahlbeteiligung Le Pen nutzen wird.

Für viele Europaabgeordnete ist der Ausgang der ersten Runde keine große Überraschung. „Die Umfragen haben ein entsprechendes Ergebnis vorhergesagt“, sagt René Repasi (SPD).

Seine Parteikollegin Katarina Barley hat sogar ein engeres Rennen erwartet. Nun sei der Abstand doch etwas größer ausgefallen.

Schock über die tiefe Spaltung Frankreichs

Erschüttert äußern sich alle Befragten über das starke Abschneiden der Populisten. „Das Wahlergebnis zeichnet das Bild eines tief gespaltenen Landes“, meint Markus Ferber (CSU). „Dass mehr als 50 Prozent der Wähler ihre Stimme für einen links- oder rechtspopulistischen Kandidaten abgeben, kann man nur als Schock bezeichnen.“

Peter Liese (CDU) gibt Emmanuel Macron eine Hauptschuld. Der habe „offensichtlich gedacht, allein als internationaler Krisenmanager die Wahl zu gewinnen“. Damit habe er den Eindruck vermittelt, dass ihn die Alltagssorgen der Menschen nicht interessieren.

Mehr zur französischen Präsidentschaftswahl bei Tagesspiegel Plus:

Aus Sicht von Monika Hohlmeier (CSU), Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Europäischen Parlament (EP), ist Europa nicht gut darauf vorbereitet. Das Risiko sei real. Gut die Hälfte der Franzosen sei bereit, für Parteien rechts des Mitte zu stimmen.

Einerseits könne die EU die Zusammenarbeit mit einem so zentralen Land wie Frankreich nicht einfach einstellen. Andererseits werde die Lage dann bedrohlich. Denn es gehöre zum Programm von Rechtspopulisten, ein Netzwerk aus „Family and Friends“ aufzubauen mit gleichgesinnten Kräften in Politik und Wirtschaft.

"Die EU ist auf einen Sieg Le Pens nicht eingestellt"

Und in Le Pens Fall gehört selbst Wladimir Putin zum Netzwerk, warnt Hohlmeier. Solchen Personen fehle der Respekt für den Rechtsstaat und für freie Medien; ihre Regierungen seien oft mit Korruption und Kleptokratie verbunden. „Da muss die EU ihre Instrumente schärfen.“

Auch Reinhard Bütikofer (Grüne) sagt: „Nein, wir sind nicht auf einen Sieg von Le Pen vorbereitet.“ Er befürchtet, dass er zur „Kernschmelze der EU“ führen könnte. „Ohne ein Frankreich, das die EU voranbringen will, kann sie nicht funktionieren.“

Auch für Jens Geier (SPD) wäre dieser Ausgang eine Katastrophe. Marine Le Pen habe kein Interesse an einer gemeinsamen europäischen Politik.

Ähnlich sieht es Ferber: „Angesichts der geopolitischen Situation kann sich die EU keine weitere interne Krise leisten.“

Wer kann einen Erfolg der Rechtspopulistin verhindern - und wie?

Katarina Barley warnt vor einer Einmischung von außen in den französischen Wahlkampf. Sie ist skeptisch, ob die EU nun direkt aktiv werden solle. „Diese Frage hat sich schon beim Brexit gestellt,“ sagt sie und empfiehlt politische Zurückhaltung.

Viele Europaabgeordnete verlangen, dass sich die pro-europäischen Kräfte in Frankreich jetzt hinter Macron versammeln sollen, von links wie von rechts. Und Amtsinhaber Emmanuel Macron müsse im Endspurt mehr Einsatz zeigen, fordert Ferber.

„Le Pen hat in den letzten Wochen gekonnt Themen wie beispielsweise die hohen Lebenshaltungskosten angesprochen. Macron fehlen bisher glaubwürdige Antworten darauf. Er muss nun ganz schnell ein Konzept entwickeln, mit dem er die Franzosen davon überzeugen kann, dass er mehr ist als der Kandidat der Eliten.“

Steigende Energiepreise und andere Alltagssorgen bewegen die Franzosen mehr als der Krieg in der Ukraine: Gelbwesten-Proteste in Paris.
Steigende Energiepreise und andere Alltagssorgen bewegen die Franzosen mehr als der Krieg in der Ukraine: Gelbwesten-Proteste in Paris.

© Thibault Camus/AP/dpa

Jens Geier verlangt, der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon müsse seine Zweideutigkeiten beenden. Der Drittplatzierte hat sich zu keiner eindeutigen Wahlempfehlung für Macron durchgerungen. Die könnte in der Stichwahl entscheidend.

René Repasi meint, Siege rechtsextremer Politiker könnten in Zukunft nur dadurch verhindert werden, dass die Linke eine starke und glaubwürdige Alternative bilde.

Wie steht Le Pen zu Deutschland?

Mit Le Pen als Präsidentin dürften sich die deutsch-französischen Beziehungen grundlegend ändern. In ihrem Wahlprogramm zur Verteidigungspolitik steht, dass Frankreich mit Deutschland „tiefe und nicht wiedergutzumachende Meinungsverschiedenheiten mit Blick auf die Doktrin, Einsatzbereitschaft und Industrie“ habe. Dies betreff vor allem die Bereiche der nuklearen Abschreckung und der Rüstungsexporte.

Le Pen hat angekündigt, den deutsch-französischen Vertrag von Aachen aufzukündigen, den Angela Merkel und Emmanuel Macron 2019 unterzeichnet hatten. Er sieht eine gemeinsame sicherheitspolitische Agenda der beiden Länder vor.

Die Herausforderin hatte Amtsinhaber Emmanuel Macron im Februar in einem Interview vorgeworfen, er unterwerfe sich Deutschland und den deutschen Interessen.

Wie gut ist die Bundesregierung vorbereitet?

Martin Koopmann, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Genshagen, einer deutsch-französisch-polnischen Denkfabrik, sagt, die Frage habe sich schon vor fünf Jahren gestellt. Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2017 kündigten mehrere französische Botschafter an, sie würden Frankreich im Falle eines Wahlsiegs von Le Pen nicht mehr im Ausland vertreten.

Die Sorge vor einer Machtübernahme der Rechtsextremen war schon damals groß. Seither habe sie dazu gelernt und halte sich mit massiv provozierenden Äußerungen zurück. „Themen wie der Austritt aus der Eurozone oder gar ein Frexit tauchen nicht mehr auf. Und doch will sie im Fall eines Wahlsiegs die Axt an Kernbereiche der europäischen Integration legen. Sie sagt es nur nicht mehr so laut.“

Le Pen stelle zwei Säulen des Binnenmarkts in Frage. Sie wolle den freien Warenverkehr einschränken, die Schengen- Regeln neu verhandeln und Grenzkontrollen wieder einführen. Über eine Verfassungsänderung soll zudem der Vorrang des französischen vor europäischem Recht festgeschrieben werden.

„Es geht ihr um eine Renationalisierung der Europäischen Union in Verbindung mit politischen Zielen, die mit dem Wertekanon der EU nicht vereinbar sind“, warnt Koopmann. „Es geht ihr um die Abschaffung der EU in ihrer heutigen Form.“

Wie würde Berlin den Umgang mit Frankreich verändern?

Die ambitioniert gestartete Ampelkoalition in Berlin müsste dann „ihre europapolitischen Ziele völlig neu definieren“, meint Koopmann. Das Konzept einer „europäischen Souveränität“, das sie von Macron geerbt und in den Koalitionsvertrag übernommen habe, und das Ziel einer auf vielen Feldern handlungsfähigen EU verschwänden bis auf Weiteres hinter dem Horizont.

Die ohnehin mühsame Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gegenüber Polen und Ungarn würde durch deren absehbare Allianz mit einer Präsidentin Le Pen vollends unmöglich werden.

Das neue Ziel deutscher Europapolitik würde dann lauten, die EU in den kommenden fünf Jahren vor irreversiblem Schaden zu bewahren. Deutschland müsste europapolitisch Führung übernehmen. Die Sorbonne-Reden müssten künftig in der Humboldt-Universität gehalten werden.

Parallel dazu müsste Berlin die verbliebenen integrationsfreundlichen und gemeinschaftsorientierten Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Kurs einschwören. Keine leichte Aufgabe, denn die Eurozone fiele als natürlicher Rahmen eines Kerneuropa künftig aus.

Einzelne Ziele müssten daraufhin überprüft werden, ob sich Frankreich ihnen anschließen kann. Bei den meisten dürfte die Antwort negativ ausfallen angesichts Le Pens Maxime der „priorité nationale“, fürchtet Koopmann. Kooperation mit Berlin dürfte in Paris unter den Generalverdacht gestellt werden, französischen Interessen zu schaden.

Wie ließe sich der Schaden begrenzen?

Die Bundesregierung dürfe jedoch nichts unversucht lassen, um zu kooperieren etwa bei den europäischen Klimazielen, der digitalen Transformation sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik, rät Koopmann. Die bilateralen Beziehungen zu Frankreich müsse man in der deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung pflegen.

Eine Präsidentin Le Pen sei zudem nicht allmächtig. Bei der französischen Parlamentswahl im Juni sei „eine republikanische Reaktion“ möglich, erläutert Koopmann: eine Wahlniederlage der Rechtsextremen und in der Folge eine Cohabitation Le Pens mit einer bürgerlichen Regierung der Mitte. Deutschland könne auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Städtepartnerschaften, Jugendaustausch, zivilgesellschaftliche und kulturelle Kontakte intensivieren.

Und es müsse die Suche nach Ansprechpartnern in Le Pens Umgebung beginnen, die in Deutschland nicht einen potenziellen Gegner, sondern einen Partner sehen. Dafür böte eine bürgerlich- proeuropäische Regierung im Szenario einer Cohabitation Anknüpfungspunkte.

Vergleiche mit der Beziehung zu Polen unter der PiS

„Viele dieser Überlegungen kennen wir aus den deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Wahlsieg der PiS 2015“, sagt Koopmann. Die Situation wäre jedoch ungleich dramatischer.

Der deutsch-französische Motor der EU würde für die nächsten fünf Jahren ausfallen: in einer Zeit immenser europäischer und globaler Herausforderungen.

„Es ginge um nichts weniger als das Überleben der europäischen Integration.“

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