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Oft bleibt den Menschen auf Madagaskar nichts anderes, als Heuschrecken zu sich zu nehmen.

© Tsiory Andriantsoarana/WFP

Not auf Madagaskar: Wenn der Klimawandel in den Hunger treibt

Dürre, Wassermangel, nichts zu essen: Auf Madagaskar leiden Hunderttausende extreme Not – für viele ist das lebensbedrohlich.

Kaktusblätter, mit dem Messer von den Stacheln befreit und kurz angedünstet – das ist alles, was Bole ihren drei Kindern schon seit Monaten zu essen bieten kann. Ihr Mann sei kürzlich gestorben, genau wie ihre Nachbarn, um deren zwei Kinder sie sich jetzt auch noch kümmern muss. „Was soll ich sagen?“, fragt die kaum 30-jährige Mutter ein Team des Welternährungsprogramms (WFP). „Wir sind den ganzen Tag damit beschäftigt, noch irgendwo Kaktusblätter zu finden, Tag für Tag und Woche für Woche.“

Der Boden im Dorf Fandiova im Süden Madagaskars ist zu feinem Staub zerbröselt. Bäche und Seen sind ausgetrocknet, Kühe und Ziegen gestorben. Außer Kaktusblüten nehmen die Menschen auch Heuschrecken, Tamarindensaft oder gar Lehm zu sich, um überhaupt etwas im Bauch zu haben.

Kinder gehen längst nicht mehr zur Schule, weil sie bei der Nahrungssuche helfen müssen. Einige Familien würden sogar ihre Mädchen zur Heirat verkaufen, berichtet Mialy Radrianasolo von Unicef – um so zu etwas Geld zu kommen und einen Magen weniger füllen zu müssen.

Kaum einer kann sich an eine derart verheerende Trockenheit erinnern

Inselbewohner, die nicht weit über 40 Jahre alt sind, können sich an ähnliche Zustände nicht erinnern. Zuletzt soll es zu Beginn der 60er Jahre eine ähnlich lange und schwere Dürre gegeben haben. Nach WFP-Erhebungen sind bereits 1,14 Millionen Madagassen auf Lebensmittelhilfe angewiesen, mehr als 135.000 Kinder sollen akut unterernährt sein.

Falls der Regen auch im kommenden halben Jahr ausbleibt, werde eine weitere halbe Million Kinder Hunger leiden, sagt WFP- Sprecherin Alice Rahmoun. „Dann droht 28000 Menschen der Hungertod.“ Schon heute ist die Hälfte aller madagassischen Kinder wegen mangelnder Ernährung von Entwicklungsstörungen betroffen.

Viele Familien wissen nicht, woher die nächste Mahlzeit kommen soll.
Viele Familien wissen nicht, woher die nächste Mahlzeit kommen soll.

© Tsiory Andriantsoarana/WFP/dpa

Fachleute nennen die sich anbahnende Katastrophe „die erste von der Klima-Erwärmung erzeugte Hungersnot“. Tatsächlich sind Dürren auf Madagaskar nicht ungewöhnlich. Doch so hartnäckig wie diesmal blieb der Regen in dem Land von der Größe Frankreichs bisher nicht aus. Eine Folge der Erwärmung der Meere, davon ist der US-Klimaforscher Chris Funk überzeugt.

Die Franzosen haben als Kolonialmacht die Insel entwaldet

Sowohl der Anstieg der Temperatur im Indischen Ozean wie im Pazifik – und die damit zusammenhängenden Klimaphänomene El Niño und La Niña – seien für das Ausmaß der derzeitigen Dürre verantwortlich. Erwärmte Meere führen zu steigenden Temperaturen, die Luft nimmt mehr Feuchtigkeit auf.

Dadurch verringert sich der Niederschlag. Nach Funks Worten kam es seit 2014 mit nur einer Ausnahme jedes Jahr entweder zu einem El Niño oder einer La Niña. Die vergangenen sechs Jahre zählten zu den trockensten Madagaskars seit 1981.

Die fatalen Auswirkungen des ausbleibenden Niederschlags wurden durch andere Eingriffe der Menschen verschlimmert. Schon in den 20er und 30er Jahren sorgte die französische Kolonialmacht durch das Anlegen riesiger Plantagen für eine immense Entwaldung der Insel.

Das hohe Bevölkerungswachstum (von fünf Millionen im Jahr 1960 auf 27 Millionen heute) setzte den verheerenden Trend fort. Schließlich wirkte sich auch die derzeitige Pandemie katastrophal aus: Ein Einreiseverbot für Touristen brachte den zweitwichtigsten Wirtschaftssektor Madagaskars zum Erliegen.

Kurzfristig könne dem ausbleibenden Regen nur mit einer verbesserten Nutzung des Niederschlags begegnet werden, sagen Experten. Das wenige Regenwasser müsse gesammelt und in Reservoirs aufbewahrt werden. Kein wirklicher Trost für die mehr als eine Millionen Madagassen, die heute Hunger leiden. Sie sind auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Und dass endlich wieder Regen fällt.

Es kommen die „mageren Monate“

Aber danach sieht es nicht aus. Experten gehen davon aus, dass auch in der jetzt eigentlich beginnenden Regenzeit die Niederschläge nur dürftig ausfallen werden, wenn nicht gar ausbleiben. Das heißt, die nächsten Ernten sind ebenfalls extrem gefährdet – die Hungersnot könnte sich somit drastisch verschärfen. Dabei beginnen ohnehin mit der Zeit zwischen den Ernten die „mageren Monate“, in denen es an lebenswichtigen Ressourcen oft mangelt.

Dieses Szenario alarmiert die Helfer. Sie bereiten sich deshalb darauf vor, dass die Unterstützung rasch und massiv ausgedehnt werden muss, um den Menschen das Überleben zu sichern. So rechnet man beim UN-Welternährungsprogramm damit, dass sehr bald sehr viel mehr Menschen als bisher auf Nahrungsmittelrationen angewiesen sein werden. Heute versorgt WFP eigenen Angaben zufolge 370.000 Menschen mit Essen.

Die Organisation der UN stellt sich aber darauf ein, dass diese Zahl ab Dezember auf gut 600.000 steigt, später womöglich gar auf eine Million. Diese Ausweitung der Hilfe bedeutet eine enorme logistische Herausforderung. So müssen zum Beispiel Lieferketten organisiert und Vorräte eingekauft werden. Das alles kostet viel Geld und Zeit. Zeit, die viele Menschen auf Madagaskar womöglich nicht mehr haben.

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