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Ursula von der Leyen (CDU).

© REUTERS

Nominierung Leyens für EU-Kommissionschefin: Die Empörung der SPD

Die Sozialdemokraten geben sich erbost über die Nominierung von Ursula von der Leyen als EU-Kommissionschefin. Einer spricht sogar von „Verrat“.

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Es sah alles so schön aus. Vizekanzler Olaf Scholz stand breit grinsend neben der Kanzlerin, endlich mal ein Erfolg gegen die Schwarzen – und das Spitzenkandidatenprinzip in Europa schien auch gerettet. Das war am Sonnabend beim G-20-Gipfel in Osaka. Da schien es, als werde mit Hilfe von Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron mangels anderer Optionen der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans beim EU-Gipfel zum neuen EU-Kommissionspräsidenten gemacht. Eine Besetzung mit Ursula von der Leyen war laut Teilnehmern der Runden in Osaka gar kein Thema – weil sie eben auch gar nicht bei der Europawahl auf dem Stimmzettel stand. Nun fühlen sich die Sozialdemokraten verraten. Sie verlangen Aufklärung, wie das genau zwischen Macron und Merkel gelaufen ist.
Merkel galt bereits als „lame duck“. Doch schon Helmut Kohl meinte: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Die Kanzlerin wirkt nun wie eine Gewinnerin, aber verloren haben fast alle. Vor allem auch die SPD. Es ist eine gewisse Ironie, dass Timmermans, der Vorkämpfer gegen Nationalismus und das Aushöhlen demokratischer Prinzipien, von einer Allianz um den Ungarn Viktor Orban gestoppt und die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen auf den Schild gehoben wurde. Daher ist nun Scholz, dem SPD-Vizekanzler, das Grinsen ziemlich eingefroren – und die große Koalition ist zurück im Krisenmodus.
Und das obwohl in der Sache die Lösung eine gute sein könnte. Erstmals soll eine Frau Chefin der EU-Kommission werden, noch dazu die erste Deutsche seit Walter Hallstein 1958. „Das ist ein einmaliger Vorgang, dass Deutschland nicht zustimmen konnte, obwohl es eine deutsche Kandidatin gibt“, wettert CSU-Chef Markus Söder.

Belastung für die große Koalition

Das sei eine echte Belastung für die große Koalition. Der Grund: Die SPD hatte Merkel genötigt, sich zu enthalten, da sie die Entscheidung missbilligt. Alle anderen Staats- und Regierungschefs stimmten zu. „Die SPD macht damit deutlich, dass es ihr am Ende um das eigene parteipolitische Interesse geht. Nicht um Europa, und auch nicht um die Interessen Deutschlands“, kritisiert CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel ist schwer verärgert: „Das ist ein beispielloser Akt der politischen Trickserei: Leyen muss erst von Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor sie von anderen Staats- und Regierungschefs als Kommissions-Präsidentin nominiert werden kann“, sagte Gabriel dem Tagesspiegel.

Die SPD müsse das aufhalten, „sonst macht sie bei diesem Schmierentheater mit und die Europawahlen zur Farce“. Wenn Merkel Leyen ohne Kabinettsbeschluss benenne, sei das „ein klarer Verstoß gegen die Regeln der Bundesregierung – und ein Grund, die Regierung zu verlassen“. Doch der Haken daran: Kommissare müssen tatsächlich erst von den nationalen Regierungen vorgeschlagen werden, aber der Vorschlag für das Amt des Kommissionschefs kann durch die Staats- und Regierungschefs erfolgen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert klarstellte. Gabriel widersprach umgehend, Merkel versuche passend zu machen, was nicht passe. „Nur Deutschland kann entscheiden, wer Deutschland in der Kommission vertritt. Sonst könnten die europäischen Staats- und Regierungschefs ja Sahra Wagenknecht oder Thilo Sarrazin berufen.

Und wer entscheidet in Deutschland? Nur die Bundesregierung. Wie ist denn Günther Oettinger ins Amt gekommen? Durch Beschluss des Bundeskabinetts“, betonte Gabriel. Der Vorgang war jedenfalls beispiellos: Merkel rief aus Brüssel Scholz an, der besprach sich mit dem Rest der SPD-Spitze und übermittelte Merkel das Nein. Die enthielt sich. Die Empörung der SPD passt allerdings nicht zu Bildern aus der Kabinettssitzung am Mittwoch nach dem Coup von Brüssel. Da gab es freundliche Worte und Schulterklopfen für die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Für Merkels dienstälteste Ministerin heißt es künftig: Brüssel – statt Ärger mit der Bundeswehr. In Europa wird wohl bald die Erfolgsgeschichte der disziplinierten siebenfachen Mutter erzählt, die fließend Englisch und Französisch spricht. Wo erst Merkel das Problem hatte, hat es nun die SPD, die im Dilemma zwischen eigenem Anspruch und den Posten im Kabinett gefangen ist. Das Europathema wäre zumindest groß genug für einen Bruch.

Riskiert die SPD einen Koalitionsbruch?

Das Parlament hat auch selbst versagt, weil es keinen mehrheitsfähigen Vorschlag für den Posten des Kommissionspräsidenten machen konnte – deshalb wurde das Prinzip ausgehebelt, dass nur jemand Chef der Kommission werden soll, der sich zuvor bei der Europawahl auch als Spitzenkandidat dem Wählervotum gestellt hat. Aber weder Manfred Weber von der CDU, noch Timmermans oder die Liberale Margrethe Vestager waren mehrheitsfähig. Damit werde „der Versuch, die Europäische Union zu demokratisieren, ad absurdum geführt“, erklärten die drei Interims-SPD-Chefs Thorsten Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer und Manuela Schwesig. Deswegen lehne die SPD das ab. Aber wenn das Europaparlament Leyen durchwinkt, will man sich damit arrangieren.

Aus dem Nein folgt also nichts. Einen Koalitionsbruch will die SPD nicht riskieren. Aber die Koalition wird es weiter destabilisieren. Es stehen am 1. Semptember die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg an, zudem soll es einen Herbst der Entscheidungen geben, ein großes Klimaschutzzpaket ist geplant, dazu eine Einigung bei der Grundrente. Merkels Kardinalfehler in dem denkwürdigen Postenpoker: Mit Weber hat sie auf den falschen, einen nicht mehrheitsfähigen Kandidaten gesetzt. Dann hat sie auch Timmermans nicht durchsetzen können. Leyen wurde von der SPD immer wieder wegen ihrer Amtsführung und der Berateraffäre im Verteidigungsministerium kritisiert, nun wird sie plötzlich zur EU-Regierungschefin befördert.

Der damalige Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hatte 2014 das Spitzenkandidatenprinzip federführend mit entwickelt – und im Koalitionsvertrag hatte die SPD das Thema Europa und eine stärkere Demokratisierung an die erste Stelle gesetzt. Daher hat der Streit für die Partei eine so große Bedeutung. Es geht ums Prinzip. Aber inhaltlich ist Leyen in der Europolitik der SPD eigentlich näher als Merkel. 2012 sagte sie, ihre Vision sei die Schaffung der „Vereinigten Staaten von Europa“. Etwas das die SPD schon im Heidelberger Programm von 1925 stehen hatte. Auch das ist eine Ironie: Orban hat Timmermans verhindert – aber eine nicht minder überzeugte Vorkämpferin für ein starkes Europa bekommen, die nun auch Wladimir Putin und Donald Trump die Stirn bieten soll.

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