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Ministerpräsident Stephan Weil erntete viel Kritik für seine VW vorgelegte Rede - dabei pflegten CDU und FDP dieselbe Praxis.

© Julian Stratenschulte/dpa

Niedersachsen und VW: Kein Skandal, sondern gängige Praxis

Was auf den ersten Blick als Skandal erscheint, entpuppt sich auf den zweiten als viel Lärm um wenig. In Wolfsburg legten auch schwarz-gelbe Landesregierungen schon Redetexte bei VW vor. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Was den Schatten eines Löwen wirft, kann sich bei näherer Betrachtung als ein Mäuschen erweisen, das in der Nähe der Lampe hockt.

So ähnlich sieht es wohl mit jener Regierungserklärung von Stephan Weil aus dem Oktober 2015 aus, von der ein nicht weiter benannter VW-Mitarbeiter der „Bild am Sonntag“ sagte, sie sei im Autowerk umgeschrieben und weichgespült worden. Die von FDP-Chef Christian Lindner geforderte schonungslose Aufklärung kam anders, als er wohl gehofft hatte: Auch die von CDU und FDP gebildete Landesregierung unter Führung des Christdemokraten David McAllister und des FDP-Wirtschaftsministers Jörg Bode hatte sich schon 2010 „Kommunikationsrichtlinien“ aus dem Wolfsburger Stammwerk geholt.

Die Doppelrolle als Regierungschef und Aufsichtsrat erzwingt Rücksichtsnahme

Was als Skandal den beginnenden Bundeswahlkampf erreicht zu haben schien – Rot-Grün an der Leine lässt sich von VW Direktiven geben –, erwies sich als zwar tollpatschig gehandhabte, aber nicht unbedingt anrüchige Praxis. Wenn ein Bundesland 20-Prozent-Aktionär beim mit weitem Abstand größten Unternehmen und dort mit Regierungschef und Wirtschaftsminister im Aufsichtsrat vertreten ist, ergeben sich zwingende Rücksichtnahmen. Diese können, müssen vielleicht sogar so weit gehen, dass der dem Wohl des Unternehmens verpflichtete Aufsichtsrat Stephan Weil jene Passagen der Rede des Politikers Stephan Weil zum Thema VW dort zur Kenntnis gibt, bevor er die Regierungserklärung im Parlament vorträgt.

Soweit sich die Änderungsvorschläge auf die unternehmensrelevanten Passagen beziehen, ist das nicht anstößig. Da, wo das Unternehmen ihm lediglich unangenehme, aber sachlich nicht falsche Formulierungen durch freundlichere ersetzt, muss der Politiker sich verweigern. Im Falle der Regierungserklärung aus dem Oktober 2015 hat VW das wohl versucht, war indessen nicht erfolgreich.

Ein Ausstieg aus VW wäre weltfremd

Bleibt die Frage, ob der FDP-Vorsitzende nicht recht hat, wenn er den Ausstieg des Landes aus der VW-Beteiligung fordert. Im Sinne der reinen Lehre, ja. Im Falle Niedersachsens wäre dieses Vorgehen jedoch politisch naiv. Ohne VW bräche das Bundesland wirtschaftlich zusammen. 120 000 Arbeitsplätze hängen direkt an VW, weitere 80 000 mittelbar. Von der gesamten Wertschöpfung der 50 größten Betriebe Niedersachsens kommen mehr als zwei Drittel von Volkswagen. Wenn das VW-Gesetz – das, gerichtlich bestätigt, übrigens EU-konform ist – dem Aktionär Niedersachsen ein Einspruchsrecht gegen Werksschließungen und den Einstieg nicht genehmer Großaktionäre zugesteht, wäre jede Landesregierung, die auf solche Möglichkeiten freiwillig verzichtet, völlig weltfremd.

Dass die Wechselwirkung zwischen Politik und Wirtschaft durchaus erfolgreich sein kann, zeigte ab 2001 das VW-Lohnmodell „5000 mal 5000“ im Wolfsburger Werk: VW wollte 5000 neue Arbeitnehmer zum Monatslohn von 5000 DM einstellen. Dieser Tarif lag unter dem Werkstarif, die zuvor arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeiter bauten die Modelle Touran und Tiguan. Die Geburtshelfer hießen Gerhard Schröder und Peter Hartz.

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