zum Hauptinhalt
Die SPD tritt den Gang in die Opposition an.

© Nietfeld/dpa

Niederlage für die SPD: Bittere Stunden im Willy-Brandt-Haus

Für die SPD steht die Existenz als Volkspartei auf dem Spiel. Es gibt Zweifel an Martin Schulz, doch der will weitermachen.

Von

Nicht einmal zum Stöhnen haben sie noch die Kraft: Eine seltsame Stille senkt sich über das voll gepackte Atrium im Willy-Brandt- Haus. 18 Uhr, die erste Prognose auf den TV-Schirmen übersteigt alle Befürchtungen. 21 Prozent, ein historisches Desaster, so schlimm, dass es vielen Genossen die Stimme verschlägt.

Die Parteiführung weiß schon seit Stunden, was da auf sie zurollt. Seit 16 Uhr sitzen sie in der Zentrale zusammen, der geschlagene Kanzlerkandidat Martin Schulz, seine Stellvertreter, einige Ministerpräsidenten und Bundesminister. Sie alle kennen die Nachwahlbefragungen der Demoskopen. Alles, was sie jetzt noch tun können, ist zu klären, wie sie mit dem Absturz umgehen wollen.

Mit schlechten Wahlergebnissen haben die Spitzenleute der SPD zwar Erfahrung. 2009 mussten sie mit Kandidat Frank-Walter Steinmeier ihr bis dahin schlechtestes Resultat (23 Prozent) verkraften, vier Jahre später schaffte es Peer Steinbrück auf gerade mal 25,7 Prozent. Aber eine Abstrafung mit knapp über 20 Prozent – das ist noch einmal etwas ganz anderes. Jetzt hilft nur noch die Flucht nach vorne.

Partei will in die Opposition gehen

Schulz tritt sie um genau 18.30 Uhr auf der Bühne im Atrium an. An seiner rechten Seite steht Manuela Schwesig, die neue Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, zu seiner Linken Andrea Nahles, noch Arbeitsministerin der großen Koalition.Dem Bündnis mit der Union wird Schulz für die nächsten vier Jahre gleich eine Absage erteilen. Doch vorher hält er noch eine zehnminütige Ansprache, in der viel vom Dank an die Wahlhelfer die Rede ist, von Überzeugungen, die Sozialdemokraten niemals aufgeben, und von der historischen Mission der SPD, auch in schwerer Stunde die Demokratie zu verteidigen. Dann erst wird Schulz konkret, spricht aus, dass er als Parteichef weitermachen will: Er sehe es als seine „Verpflichtung“ an, die sozialdemokratische Partei in den kommenden Monaten „grundsätzlich neu aufzustellen“. Und dann kommt der Satz, für den er den stärksten Beifall erhält: „Ich habe der Parteiführung empfohlen, dass die SPD in die Opposition geht.“

Ein Parteichef, der in der Krise Vorgaben macht – das klingt selbstbewusst. In Wirklichkeit folgt der angeschlagene Vorsitzende da oben auf der Bühne bereits einem Drehbuch, das andere in Erwartung der sicheren Wahlniederlage geschrieben haben. Seit Tagen wurde ihm in vielen Gesprächen klar gemacht, dass es bei einem Ergebnis unter 23 Prozent keine Neuauflage der großen Koalition geben dürfe. Spätestens am Wahlabend muss Schulz einsehen, dass aus seinem stillen Traum nichts mehr wird, Außenminister in einer von Angela Merkel geführten Regierung zu werden.

Für ihn geht es jetzt nur noch darum, sich im Amt zu halten. Zwei Umstände sprechen trotz der Niederlage für ihn: Der Kämpfer Schulz hat sich im Wahlkampf nicht gebeugt, hat nach drei Niederlagen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen seine rote Fahne tapfer hochgehalten („Ich will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“). Der geschlagene Kandidat kann außerdem auf einen nie dagewesenen Vertrauensvorschuss verweisen: Er wurde im Februar mit 100 Prozent zum Vorsitzenden gewählt. Und auch sein Wahlprogramm wurde ohne eine Gegenstimme verabschiedet.

Ob das ausreicht? Der Ruf nach einem Generationenwechsel in der Partei und nach Frauen in Spitzenpositionen war in der SPD schon vor dem Wahltag laut geworden. Mit dem Ergebnis vom Sonntag hat diese Forderung nun eine Wucht bekommen, die für Schulz gefährlich ist.

Kein Fraktionsvorsitz für Schulz

In der Opposition kann er nicht einmal mehr den Fraktionsvorsitz für sich beanspruchen. Die Entscheidung, wer die stark geschrumpfte SPD- Bundestagsfraktion anführen wird, soll am Mittwoch fallen. Wer immer sich durchsetzt, muss im neuen Bundestag die Regierung als Oppositionsführer herausfordern und sich zugleich gegen die AfD als zweitstärkste Oppositionskraft behaupten.

Der Fraktionsvorsitz wird damit zu einer Schlüsselposition beim Ringen um die Zukunft der SPD. Schulz hatte nach Angaben aus Parteikreisen noch vergangene Woche geplant, selbst für den Posten anzutreten. Das war schon vor dem Wahltag ein waghalsiges Vorhaben und rief in der Partei massiven Widerstand hervor. Am Wahlabend versichert Schulz der engeren Parteiführung aber, er habe den Fraktionsvorsitz nie gewollt. Und kündigt danach in Fernsehinterviews an, der Fraktion einen Personalvorschlag zu unterbreiten.

Damit könnte der Weg frei werden für Andrea Nahles. Die frühere Frontfrau vom linken Flügel hat sich in den vergangenen vier Jahren einen Ruf als Pragmatikerin erarbeitet, ihre Chancen auf eine Mehrheit in der Fraktion stehen nicht schlecht. Allerdings: Ein Teil der Führung warnt vor Schnellschüssen beim Personal und plädiert deshalb dafür, dass Fraktionschef Thomas Oppermann die Geschäfte kommissarisch weiterführt. Eine solche Lösung wäre auch im Interesse der Niedersachsen-SPD von Ministerpräsident Stephan Weil, die bei der Landtagswahl am 15. Oktober ihre Macht verteidigen muss und Chaos in der Bundespartei fürchtet. Der Niedersachse Oppermann ist ein enger Freund Weils.

Den meisten in der SPD-Führung ist ohnehin klar: Mit Personalwechseln an der Spitze allein kann die Existenzkrise der Volkspartei nicht gemeistert werden. „Erneuerung“ – so lautet in der Niederlage deshalb die meist gebrauchte Vokabel. Dieses Mal soll das Wahlergebnis schonungslos analysiert werden. Im Zentrum stehen Fragen wie diese: Warum kommt das Gerechtigkeitsversprechen der SPD beim Wähler nicht an, und wie lässt sich die Verzwergung der Partei im Süden und Osten der Republik aufhalten? Etliche in der Führung der Sozialdemokratie bezweifeln allerdings, dass Martin Schulz in diesem Erneuerungsprozess mehr sein kann als ein Vorsitzender des Übergangs.

Zur Startseite