zum Hauptinhalt
In die Enge getrieben: der britische Premierminister Boris Johnson.

© REUTERS

Niederlage am britischen Supreme Court: Boris Johnson sollte zurücktreten

Das Urteil des Obersten Gerichts ist eine Schlappe für den britischen Regierungschef Boris Johnson. Er sollte den richtigen Schluss ziehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Boris Johnson hat in den vergangenen Wochen bereits einige empfindliche Niederlagen hinnehmen müssen. Erst verlor er seine Mehrheit im Unterhaus, dann konnte er sich mit seinem Wunsch nach raschen Neuwahlen nicht durchsetzen, und schließlich beschlossen die Parlamentarier gegen den Willen des britischen Regierungschefs ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit. Jetzt hat obendrein noch der Supreme Court, das höchste Gericht im Vereinigten Königreich, die von Johnson verfügte Zwangspause des Parlaments für rechtswidrig erklärt.

Der Supreme Court verkündete am Dienstag das einmütige Urteil, dem zufolge Johnsons Ratschlag an die Queen, das Parlament in den Zwangsurlaub zu schicken, nichtig war. Aus diesem unerwartet deutlichen Urteil sollte Johnson den richtigen Schluss ziehen – und zurücktreten.

Die Zwangspause glich einem politischen Schurkenstück

Das Urteil bringt die nötige Klärung in einem Rechtsstreit, der zuvor schon oberste Gerichte anderswo im Vereinigten Königreich beschäftigt hatte. Allerdings waren die Richtersprüche dabei widersprüchlich ausgefallen: Während der Court of Session, das oberste Gericht in Schottland, Johnsons Anordnung für rechtswidrig erklärte, kam der für England und Wales zuständige High Court zu dem gegenteiligen Schluss. Mit dem höchstrichterliche Urteil des Supreme Court hat es Johnson nun auch ganz offiziell: Seine Anordnung, das Parlament in eine fünfwöchige Zwangspause zu schicken, kommt einem politischen Schurkenstück gleich.

Als der Premierminister im August den bevorstehenden Zwangsurlaub der Abgeordneten ankündigte, erklärte er mit einem Spitzbubenlächeln, dass das Parlament Mitte Oktober noch ausreichend Gelegenheit zur Diskussion über den Brexit erhalten werde. Zudem sei die so genannte Prorogation nötig, damit die Thronrede der Königin und das Regierungsprogramm für das kommende Jahr vorbereitet werden könne.

In Wahrheit stellte die herbstliche Parlamentspause, die weit über das während der Parteitage übliche Maß hinausging, einen üblen Winkelzug dar. Johnson wollte damit das Parlament, das mehrheitlich mit seinem Brachialkurs beim Brexit nicht einverstanden ist, mundtot machen. Das ist ihm allerdings nicht gelungen. Denn bevor sich die Abgeordneten aus dem Unterhaus verabschiedeten, brachten sie noch schnell ihr Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit auf den Weg.

Der Spruch des Supreme Court ist wohlgemerkt kein Urteil in der Frage, ob Großbritannien in der EU bleiben soll oder nicht. Aber es stellt es eine wichtige Wegweisung in einem Land dar, das keine geschriebene Verfassung hat. Das Fehlen einer geschriebenen Verfassung hat Johnson in Versuchung geführt, die Regeln im Zusammenspiel zwischen Regierung und Parlament weit zugunsten der Exekutive zu verschieben. Einem solchen Machtmissbrauch haben die Richter nun einen Riegel vorgeschoben.

Das Parlament, das beim endlosen Gezerre um den Brexit zuletzt immer von seinem scheidenden Sprecher John Bercow im Spiel gehalten wurde, geht aus der gerichtlichen Auseinandersetzung gestärkt hervor. Wer immer im Amt des Premierministers künftig versuchen sollte, das Unterhaus kaltzustellen, dürfte sich dies zweimal überlegen.

Klebt Johnson an seinem Amt?

Abgesehen von dieser wichtigen Frontbegradigung dürfte es indes im Ringen um den Brexit in den kommenden Wochen auf andere Punkte ankommen. Wer Johnson kennt, wird nicht überrascht sein, wenn er trotz der zahlreichen Rücktrittsforderungen an seinem Amt kleben bleibt. Es ist ohnehin klar, dass sich der seit Juli amtierende Premierminister demnächst den Wählern stellen muss. Entscheidend wird es deshalb sein, schleunigst einen Termin für die Neuwahlen festzulegen. Ohne einen feststehenden Termin könnte es nämlich für die verbleibenden 27 EU-Staaten schwierig werden, einer möglichen weiteren Verschiebung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zuzustimmen.

Es wäre also im Interesse der Gegner eines ungeregelten Ausstiegs aus der EU, wenn sie jetzt den Weg für Neuwahlen innerhalb der nächsten Monate frei machen würden. Gäbe es in Großbritannien eine schlagkräftige Opposition, dann könnte sie Johnsons Rechtsbruch zu einem beherrschenden Thema im Wahlkampf machen. Angesichts des verworrenen Brexit-Kurses des Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn darf allerdings bezweifelt werden, dass die bislang wichtigste Oppositionspartei den Regierungschef stellt.

Zur Startseite