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Enge Freunde könnten ihrer Beziehung bald einen rechtlichen Rahmen geben.

© mauritius images / Image Source

Nicht nur für Liebesbeziehungen: Die Ampel will einen rechtlichen Rahmen für Wahlverwandte schaffen

SPD, Grüne und FDP wollen die „Verantwortungsgemeinschaft“ – für zwei oder mehr Menschen, die sich nahe stehen. Ist das die Anerkennung der Polyamorie?

In der Ankündigung könnte eine kleine Revolution stecken – rechtlich und familienpolitisch. „Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.“ So kündigen es die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag an.

Sie greifen damit ein Konzept auf, das die FDP schon Anfang 2020 in den Bundestag eingebracht hat und im Rechtsausschuss diskutieren ließ. Was genau unter einer „Verantwortungsgemeinschaft“ verstanden wird, ist im Vertrag nicht ausgeführt. Wird damit ein rechtlicher Rahmen für polyamouröse Beziehungen, also Partnerschaften von mehr als zwei Menschen, geschaffen?

„Das wird nicht der Hauptanwendungsfall sein – aber selbst wenn, halte ich das nicht für einen Skandal“, sagt die Bundestagsabgeordnete Ria Schröder (FDP). Es gehe bei dem Vorstoß für die Verantwortungsgemeinschaft nicht in erster Linie um Liebesbeziehungen. Stattdessen soll sie Wahlverwandtschaften oder anderen engen Beziehungen, die nicht partnerschaftlicher oder verwandtschaftlicher Natur sind, einen Rahmen eben.

Schröder nennt das Beispiel ihrer eigenen Oma, die im Alter eine Wohngemeinschaft mit einem älteren Herrn hatte, der – ohne ihr Partner zu sein – zu ihrer engsten Vertrauensperson wurde. Doch als ihre Oma ins Krankenhaus kam, hatte der Mitbewohner keinerlei Rechte.

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„Ausdruck der Selbstbestimmung“

Die Einführung einer Verantwortungsgemeinschaft, so die Hoffnung von Schröder, könnte solchen Beziehungen einen rechtlichen Rahmen geben. Auch Alleinerziehende, die von engen Freunden oder Geschwistern unterstützt werden, könnten so eine offizielle Gemeinschaft eingehen.

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„Wir sind eine vielfältige Gesellschaft, in der Menschen auf unterschiedlichste Arten Verantwortung füreinander übernehmen, und das ist schützenswert“, sagt Schröder. Aus ihrer Sicht kommt die Vorstellung, dass Verantwortung nur in der Ehe übernommen werden könne, aus einer anderen Zeit. Eine rechtliche Regelung für andere Formen der Solidarität sieht sie als „Ausdruck der Selbstbestimmung“.

Ein Stufenmodell ist angedacht

In anderen Ländern gibt es bereits solche rechtlichen Formen, etwa in Frankreich. Dort wurde bereits 1999 der „PACS“ eingeführt, der „pacte civile de solidarité“, zu Deutsch „bürgerlicher Solidaritätspakt“. Ursprünglich für homosexuelle Paare eingeführt, wird er inzwischen auch von anderen Paaren gerne genutzt. Ein „PACS“ ist sehr leicht zu schließen und auch wieder aufzulösen. Allerdings kann er nicht von mehr als zwei Menschen geschlossen werden.

Die deutsche „Verantwortungsgemeinschaft“ soll anders aussehen, nicht nur, weil sie mehrere Menschen umfassen wird. Schröder vermutet, dass es ein „modulares System“ geben wird – mit unterschiedlichen Stufen, von Auskunfts- oder Vertretungsrechten bis zur Übernahme deutlich weitergehender Pflichten.

Mehr zur Ampel lesen Sie bei Tagesspiegel Plus:

Rechtliche Hürden sieht Schröder, die selbst Juristin ist, in Bezug auf steuer- und erbrechtliche Regelungen, die mit einer neuen Form der Gemeinschaft zusammenhängen könnten. Es dürfe keinen Schnellschuss geben, stattdessen müssten die rechtlichen Aspekte sorgfältig geprüft werden.

Dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ entgegenwirken

Das sieht auch Nina Dethloff, Professorin für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht an der Universität Bonn, so. Sie begrüßt den Vorstoß von SPD, Grüne und FDP. „Damit wird die Vielfalt der Beziehungen in unserer Gesellschaft anerkannt“, sagt sie. Außerdem werde dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, das aufgrund der besonderen Stellung der Ehe das gemeinschaftliche Leben immer noch kennzeichne, entgegengewirkt.

Sie sieht keine Hindernisse durch den im Grundgesetz festgeschrieben besonderen Schutz der Ehe.  „Solange die Regelung deutlich macht, dass es um etwas ganz anderes geht, sehe ich das nicht für unvereinbar mit dem Schutz der Ehe“, so Dethloff.

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Auch wenn Dethloff davon ausgeht, dass die Regelung einer Verantwortungsgemeinschaft für eine Bandbreite an Beziehungen sachgerechte Lösungen bieten könnte, hält sie sie für eine bestimmte Gruppe nicht für ausreichend: die große Gruppe unverheirateter Paare, die mit gemeinsamen Kindern oder ohne auf längere Dauer zusammenleben.

Für diese fehlt es bislang an Regelungen für den Fall der Trennung, etwa zur Zuweisung der Wohnung oder zum Ausgleich für berufliche Nachteile, die eine Partner:in zugunsten der Familie erlitten hat. Eines solchen Schutzes bedürften Kinder und Partner:innen aber unabhängig davon, ob zuvor eine Verantwortungsgemeinschaft registriert wurde, so Dethloff. Die Institution einer Verantwortungsgemeinschaft würde insoweit nicht genügen.

Skepsis in der CDU

Skeptische Stimmen kommen aus den Reihen der CDU. Silvia Breher, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, sieht noch nicht die Grundlage für eine ernsthafte Debatte zum Thema gegeben. „Zunächst einmal sollten sich die Ampelfraktionen untereinander einig sein, was sie genau mit einer Verantwortungsgemeinschaft ausdrücken wollen“, sagt Breher.

„Dann werden wir das gerne anhand der konkreten Vorschläge diskutieren.“ Die Ehe müsse aber weiterhin Bestand haben und nicht davon berührt oder ausgehöhlt werden. Bis es zur familienpolitischen Revolution kommt, wird es wohl noch dauern – viele Details sind noch offen. Dann aber könnte es für enge Freundschaften, Menschen in Alten-Wohngemeinschaft und andere Wahlverwandte die Möglichkeit geben, ihrer Verbindung einen offiziellen Rahmen zu geben – samt neuer Rechten und Pflichten.

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