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Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne).

© AFP

„Nicht in meinem Parlament“: Abgeordnete wollen gegen sexuelle Belästigung im Bundestag vorgehen

Nach der #MeToo-Bewegung beschäftigt sich nun auch der Bundestag mit dem Thema. Abgeordneten hätten jahrelang „die Augen zugemacht“, sagt Claudia Roth.

„Sei doch nicht immer so sensibel“ – diesen Satz bekam die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth gelegentlich zu hören, wenn sie in den Gremien des Parlaments über Sexismus reden wollte. Doch gerade bei diesem Thema sei Sensibilität wichtig, sagt sie. „Es fängt mit der Sprache an.“

Mehr Aufmerksamkeit für Sexismus, Belästigung und sexualisierte Gewalt in Europas Parlamenten soll die Europaratskampagne „Not in my parliament“ (Nicht in meinem Parlament) wecken, die am Donnerstag im Bundestag vorgestellt wurde.

Für eine Studie über Sexismus, Belästigung und Gewalt gegen Frauen in europäischen Parlamenten hatte die Interparlamentarische Union 2018 sowohl weibliche Abgeordnete als auch Mitarbeiterinnen in 45 Staaten befragt. Mehr als zwei Drittel der befragten weiblichen Abgeordneten gaben an, im Rahmen ihrer parlamentarischen Arbeit sexistische Bemerkungen beispielsweise über ihr Aussehen erlebt zu haben.

Mehr als 58 Prozent wurden in sozialen Netzwerken Opfer sexistischer Angriffe. Fast jede zweite Abgeordnete erhielt Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen. Ein Viertel der Befragten berichtete über sexuelle Belästigung.

Sowohl die Studie als auch die nun in Berlin vorgestellte Kampagne sind Antworten auf die so genannte #MeToo-Bewegung, bei der Frauen in sozialen Netzwerken über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt berichteten. Frauen, die solche Übergriffe jahrelang verschwiegen hatten, aus Angst vor beruflichen Konsequenzen oder weil das Thema als tabuisiert galt, gingen damit erstmals an die Öffentlichkeit.

Diese 2017 begonnene Debatte hallt bis heute nach. Auch die deutschen Abgeordneten hätten bei diesem Thema jahrelang „die Augen zugemacht“, sagt Claudia Roth. „Wir haben erheblichen Nachholbedarf im Deutschen Bundestag.“

„Wir kennen verschiedene Fälle“

Genaue Zahlen über Betroffene gibt es dort allerdings nicht. Bisher ist für viele Mitarbeiterinnen des Parlaments unklar, an wen sie sich mit einer Beschwerde wenden können. Hinzu kommen schwierige Abhängigkeitsverhältnisse, weil die Mitarbeiter der Abgeordnetenbüros nicht Angestellte der Bundestagsverwaltung sind, sondern von dem Parlamentarier eingestellt werden, für den sie arbeiten. Da gehe es schnell um die berufliche Existenz, sagt die SPD-Abgeordnete Ute Vogt.

Die Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Liliane Maury-Pasquier, die die Kampagne „Not in my parliament“ in Berlin vorstellte, empfiehlt dem Bundestag, angemessene Strukturen für Beschwerden und deren Überprüfung einzurichten. Außerdem müsse es Disziplinarmaßnahmen geben, um die Straflosigkeit von Übergriffen gegen Frauen zu beenden.

„Wir kennen verschiedene Fälle“, berichtet eine Linken-Abgeordnete. Eine unabhängige Stelle, bei der solche Beschwerden vorgebracht werden können, sei außerordentlich wichtig. Als Frau gelte man innerhalb der Fraktion sonst als Nestbeschmutzerin, wenn man solche Fälle zum Thema mache.

Im Parlament soll nun die Rechtsstellungskommission prüfen, welche Strukturen im Kampf gegen sexuelle Belästigung konkret geschaffen werden müssten. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe will das Thema aber auch im Plenum diskutieren, er schlägt einen fraktionsübergreifenden Antrag vor.

In dieser Legislaturperiode, so die Beobachtung mehrerer Abgeordneter, trete erstmals in den Plenardebatten Frauenfeindlichkeit offen zutage. So berichtet Roth von einer Debatte, in der ein AfD- Abgeordneter am Rednerpult stand, auf den Platz der Kanzlerin blickte und rief: „Wer keine Eier hat, sollte nicht regieren.“ Es war übrigens ein männlicher Abgeordneter, der SPD-Politiker Timon Gremmels, der diese Rede im Plenum später als sexistisch kritisierte

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