zum Hauptinhalt
Tabletten, Kapseln und Pillen in verschiedenen Farben

© dpa

Nicht high, sondern präsent sein: LSD ist der neue Kaffee

Kleine Mengen von LSD steigern vermeintlich die Leistungsfähigkeit. Ärzte aber warnen vor dem „Microdosing“.

Zur Optimierung der geistigen Fähigkeiten soll eine kleine Dosis LSD täglich Kreativität und Konzentration fördern: Was sich anhört wie ein düsterer Zukunftsroman über die Leistungsgesellschaft im Stile Aldous Huxleys oder George Orwells, gehört im Silicon Valley, dem amerikanischen Mekka der Neuerfindungen, schon zum Alltag. Beim „Microdosing“ nimmt man etwa ein Zehntel der Menge des Halluzinogens, das gewöhnlich für einen Drogenrausch konsumiert wird.

Lysergsäurediethylamid, kurz LSD, wird auf kleine Pappplättchen, Blotter genannt, geträufelt und auf die Zunge gelegt. Ursprünglich als Medikament konzipiert, wurde LSD zunächst als Hilfsmittel in der Psychotherapie verwendet, später versuchte die CIA es als „Wahrheitsserum“ einzusetzen, um Aussagen von Verdächtigen zu erzwingen. 1966 wurde das Halluzinogen in den USA und 1971 weltweit verboten, bis heute sind auch Kleinstmengen illegal. Doch gab es bis vor Kurzem für Konsumenten eine legale Alternative: 1P-LSD ließ sich problemlos im Internet bestellen und war bei „Microdosern“ sehr beliebt.

Auch die Wirkung ist ähnlich: In einem Rausch verändert sich die räumliche und zeitliche Wahrnehmung. Gegenstände können sich verformen und es kann zu Überlagerungen einzelner Sinneswahrnehmungen kommen. So kann der Eindruck entstehen, Töne könnten geschmeckt oder Farben gehört werden.

„Beim Microdosing geht es nicht darum, high zu werden, sondern darum, präsenter zu sein, bessere Beziehungen führen zu können und eine größere Aufnahmefähigkeit zu haben“, sagt Paul Austin, bekennender „Microdoser“, in Videos auf seiner Homepage. Austin ist gerade von New York an die amerikanische Westküste, nahe dem Silicon Valley, gezogen. Dort informiert er Unternehmer in Seminaren über die Wirksamkeit dieses effizienzsteigernden Versprechens.

Die Dosierung ist problematisch

Doch die richtige Dosierung sei genau das Problem, warnt Tomislav Majic, Oberarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin: „Es ist schwer zu sagen, wie viel LSD tatsächlich auf einem auf dem Schwarzmarkt erworbenen Blotter vorhanden ist.“ Selbst wenn man also nur eine kleine Mengen nehmen möchte, könnte es passieren, dass man eine höhere Dosierung erwischt als erwartet – und die Effekte dann doch psychedelisch seien, so Majic.

Max Wüsten hat mit einer sehr geringen Dosis LSD angefangen und diese dann langsam erhöht. Solch ein Vorgehen empfiehlt der Leipziger auch seinen Zuschauern auf Youtube. Ähnlich wie Austin berichtet er in seinen Videos sehr positiv über seine Erfahrungen. Die hat er nicht nur mit LSD gemacht, sondern auch mit der Mikrodosierung von Pilzen, die er gegen Depressionen einnimmt und als sehr stimmungsaufhellend beschreibt.

Der Psychiater Tomislav Majic kennt diese Formen der Selbsttherapie. Zu ihm kommen immer mehr Patienten, die sich auf diese Weise versuchen, selbst zu heilen. Aber Majic warnt: „Alle Risiken, die auch sonst für die Einnahme von Psychedelika bekannt sind, können auch bei Mikrodosierung eintreten, darunter fallen Psychosen, Angststörungen, emotionale Krisensituationen und Flashbacks.“

Bislang ist über die Langzeitwirkung der ständigen Einnahme von Halluzinogenen wenig bekannt, doch Vince Polito und Richard J. Stevenso von der Macquarie-Universität in Sydney machten in einer kürzlich veröffentlichten Studie eine interessante Entdeckung: Sie beobachteten sechs Wochen lang Probanden, die mikrodosierte Psychedelika nahmen, und befragten sie zu ihren Erfahrungen. Polito berichtete danach, dass die Versuchspersonen mit sehr großen Erwartungen auf Veränderungen in den Versuch starteten, weil sie durchweg positive Erfahrungsberichte im Internet gelesen hatten. Zwar berichteten viele während der Testphase von einer höheren Konzentrationsfähigkeit und Kreativität, doch wieder andere brachen den Versuch ab, weil sie die Veränderung als negativ empfanden. Insgesamt fiel den Wissenschaftlern auf, dass die Probanden nach mehreren Wochen des Microdosing zunehmend neurotisch wurden.

Joana Nietfeld

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false