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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Chef Lothar Wieler

© Fabian Sommer/ AFP

Update

„Nicht allein auf die Inzidenz starren“: RKI will Mutter aller Zahlen nicht mehr so wichtig nehmen

In der Corona-Politik deutet sich ein Kurswechsel an: Als Kennziffer verlieren die Neuinfektionen an Relevanz – für das Robert-Koch-Institut und die Maßnahmen.

Seit Monaten gilt die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Menschen als die wesentliche Richtschnur für politische Entscheidungen. Doch nun könnte die Inzidenz als entscheidende Marke kippen. Das geht aus einem internen Dokument des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervor, über das die „Bild“-Zeitung berichtet.

Demnach soll die „Hospitalisierung als zusätzlicher Leitindikator“ für die Politik relevant werden. Wichtig wäre dann also auch die Anzahl der im Krankenhaus behandelten Corona-Patienten. Die Inzidenz würde nicht länger allein entscheidend für die Corona-Maßnahmen sein.

Es seien zwar „weiterhin mehrere Indikatoren zur Bewertung notwendig, aber die Gewichtung der Indikatoren untereinander ändert sich“, heißt es dem RKI-Papier. Das Institut begründet die Hinzunahme der Hospitalisierung mit den „Konsequenzen zunehmender Grundimmunität“. So rechnet das RKI mit einer „Abnahme des Anteils schwerer Fälle“, da die Risikogruppen fast vollständig durchgeimpft sind.

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In einer anderen RKI-Analyse heißt es, dass sich die zunehmende Dominanz der Delta-Variante vor allem dann auf die Intensivstationen auswirkt, wenn die Impfquoten bei den 12- bis 59-Jährigen „bei 75 Prozent oder gar 65 Prozent stagnieren und gleichzeitig eine komplette Öffnung stattfindet“. Doch komplette, bundesweite Lockerungen stehen derzeit nicht zur Debatte – auch die Impfquote schreitet, wenngleich aktuell wieder langsamer, weiter voran.

Selbst bei höheren Infektionszahlen dürfte Corona somit vor allem aufgrund der Impfungen für das Gesundheitssystem immer weniger gefährlich werden. Dabei war genau diese mögliche Überlastung des Gesundheitssystems sowie die Vermeidung schwerer Erkrankungen und Todesfälle bereits seit Beginn der Pandemie das früh ausgegebene und zentrale Ziel der Politik.

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Auch die Bundesregierung will weg von der Inzidenz als Hauptkriterium in der Corona-Pandemie. Die Inzidenz verliere bei steigender Impfquote an Aussagekraft, teilte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Montag mit. Zumal dann, wenn die besonders vulnerablen Gruppen bereits geimpft seien. Gleichwohl würden die Neuinfektionen als Kennwert zur Beurteilung der Corona-Lage weiterhin berücksichtigt.

In diese Richtung hatte sich am Sonntag auch schon Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geäußert. „Da die gefährdeten Risikogruppen geimpft sind, bedeutet eine hohe Inzidenz nicht automatisch eine ebenso hohe Belastung bei den Intensivbetten. Die Inzidenz verliert zunehmend an Aussagekraft, wir benötigen nun noch detailliertere Informationen über die Lage in den Kliniken“, twitterte er.

Das Bundesgesundheitsministerium gab am Sonntag zudem bekannt, dass Krankenhäuser künftig verpflichtet werden sollen, alle Krankenhausneuaufnahmen wegen Corona zu melden. Bisher wird lediglich die Zahl der Intensivpatienten zentral erfasst.

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[Lesen Sie auch: So kommen Impftouristen in Berlin an ihre Spritze (T+)]

Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, fordert ebenfalls mehr Transparenz bei den Angaben der Krankenhäuser. Es brauche verlässliche Daten für die Situation auf allen Stationen, erklärte Brysch. Damit lasse sich die Pandemielage besser beurteilen als allein der Blick auf die Inzidenzwerte.

Auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans will neben dem Inzidenzwert andere Faktoren bei der Beurteilung der Corona-Pandemie hinzuziehen. „Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir in diesem Herbst nicht allein auf die Inzidenz starren“, sagt der CDU-Politiker im ZDF.

Dass die Werte derzeit wegen der Delta-Variante nach oben gehen, sehe man in ganz Europa. „Wichtig ist, dass wir verstärkt Faktoren in Betracht ziehen wie zum Beispiel die Belastung des Gesundheitswesens, die Belegung der Intensivstationen, die Art und Weise wie Patientinnen und Patienten ankommen - all das muss eine Rolle spielen.“

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Bislang galt die Inzidenz unter Experten stets als Anzeiger dafür, wie sich das Virus in der Bevölkerung verbreitet. Doch inzwischen sind sich viele Fachleute darin einig, dass mit zunehmendem Impfschutz in der Bevölkerung die Inzidenz in einem anderen Verhältnis zu schweren Verläufen steht als noch vor einigen Monaten. Wie groß dieser Unterschied ist, ist schwer einzuschätzen.

Der Statistiker Helmut Küchenhoff von der Uni München sagte der Deutschen Presse Agentur, die zentrale Frage sei, wie die stärkere Verbreitung des Virus zu interpretieren ist. Der aktuelle Inzidenz-Anstieg sei zwar „vielleicht ein Grund für Nervosität, aber noch kein Grund, um Lockerungen zurückzunehmen“. Man müsse erstmal abwarten, um die Auswirkungen auf die tatsächliche Zahl der Erkrankungen absehen zu können.

Küchenhoff plädiert dafür, bei der Inzidenz in erster Linie auf die älteren Menschen zu blicken, da diese besonders anfällig für schwere Verläufe seien. Zuletzt war der Wert für Menschen ab 60 Jahren laut RKI-Daten weniger als halb so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Ein Grund dafür dürfte die höhere Impfquote bei den Älteren sein: Bei den Über-60-Jährigen liegt sie bereits bei knapp 69 Prozent.

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