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Irgendwo da unten, in der Schmuddelecke, da geht es sicherlich auch ins Darknet.

© Oliver Lang/ddp

Neuland Darknet: Der Cyber-Pappkamerad der Stunde

Ein digitales Rotlichtviertel? Die Darknet-Debatte nach dem Amoklauf von München zeugt von beängstigendem Unwissen und Hilflosigkeit. Ein Kommentar

Seit der bayerische Innenminister Joachim Herrmann mitteilte, dass der Amokschütze von München seine „Glock 17“ im Darknet gekauft haben soll, läuft in Deutschland – wie schon mehrere Male zuvor – eine skurrile, mit beängstigendem Unwissen geführte Debatte über Technik. Gegenstand diesmal: das Darknet.

„Unser Ziel muss es sein, diesen Bereich aufzuhellen“, sagt Boris Pistorius, Innenminister Niedersachsens. Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann fordert mehr „Licht“ im Darknet. Ihr rheinland-pfälzischer Kollege, Herbert Mertin, will „Licht ins dunkle Netz“ bringen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Burkhard Lischka, will das Darknet „durchleuchten“.

Wie der Linguist George Lakoff in „Metaphors we live by“ schreibt, sind Metaphern mehr als Sprache: Sie seien auch die Repräsentation kultureller Konzepte. Wenn Kriminalität sich „ausbreitet“, versuchen wir sie „einzudämmen“. Wenn sie „epidemisch“ ist, müssen die noch nicht Angesteckten „davor geschützt“, die anderen „geheilt werden“. Wer fordert, das dunkle Darknet „auszuleuchten“, denkt demnach, dass, erstens: dunkel gleich schlecht ist, und zweitens: Ausleuchten eine Lösung ist.

Darknet ist nicht das Rotlichtviertel des Internets

Die holprige Metaphorik zeugt von Unwissen und Hilflosigkeit. Dunkel ist das Darknet nicht wirklich. Es ist offen für jeden, der sich den „Tor“-Browser runterlädt, die meisten Seiten sehen aus wie das Internet der 90er Jahre. Auch die Säuberungsfantasien sind fehlgeleitet. Das Darknet ist nicht das Rotlichtviertel des Internets. Es wird genutzt von Oppositionellen, im Iran, in Ägypten, in China. Edward Snowden und andere Whistleblower konnten darüber sicher kommunizieren. Journalisten nutzen es, Menschenrechtsorganisationen und verfolgte Menschen in vielen Ländern. Und Facebook gibt es im Darknet auch.

In Deutschland, schätzt das „Handelsblatt“, gibt es „einige Tausend“ Darknet-Nutzer. Wie viele es nutzen, um Drogen oder Waffen zu kaufen, weiß niemand. Auf bestimmten Handelsplattformen bekommt man Drogen, von Anabolika über Viagra bis MDMA – und auf einigen auch Waffen. Je nach Studie, die eine Annäherung wagen, gibt es im Darknet entweder 0,3 Prozent oder vier Prozent Plattformen, in denen Anzeichen für Waffenverkauf gefunden wurden. Die zu finden, ist nicht schwer, aber auch nicht völlig ohne Vorkenntnisse möglich. In Berlin wäre es deutlich einfacher, für ersteres den nächstbesten Dealer in der Hasenheide anzusprechen, und sich für letzteres einem der 160 Schießsportvereine der Stadt anzuschließen. Rund 50.000 „erlaubnispflichtige“ Waffen sind in Berlin im Umlauf, in Bayern 1,1 Millionen. Im bisher größten deutschen Fall von Darknet-Waffenhandel, dem des Studenten Christoph K., ging es um 20 Stück.

Erst Zuhören, dann Verstehen - zuletzt Handeln

Diese Waffen sind ein Problem. Sieht man sich die bisher verurteilten, bürgerlich-braven Darknet- Händler an, kann man mutmaßen, dass sie sich nicht in die organisierte Kriminalität getraut hätten. Deshalb ist Waffenverkauf im Darknet ein zusätzliches Problem. Eines, das angegangen werden muss, wie man wirkliche Probleme angeht: 1. Zuhören, 2. Verstehen, 3. Handeln. Ein Innenpolitiker nach dem anderen legte direkt bei 3 los und stolperte rhetorisch über sein eigenes Unverständnis.

Die bisherigen Forderungen wirken wie Ablenkung. Verbote: unpraktizierbar, Verschärfung von Vorratsdatenspeicherung: ein Blick nach Frankreich zeigt die Wirkungslosigkeit. „Licht ins Dunkel bringen“: bedeutet überhaupt nichts. Man ersetze Darknet wahlweise mit „Killerspielen“ oder „Gangster-Rap“ für einen Blick in die Zukunft. Diese Debatten sind in kurzer Zeit zurecht versandet.

Wo bleibt die Debatte über junge Männer, die sich auf ihre ideologischen oder narzisstischen Stelzen stellen und sich mit erweitertem Selbstmord zu erhöhen versuchen? Die Debatte darüber, wie es sein kann, dass sich ein junger Mann ein inkohärentes, rassistisch-chauvinistisches Weltbild überstülpt, Amokläufer verherrlicht und das weder von seinem Umfeld noch seinen Psychologen erkannt wird?

Stattdessen fordert nun Verfassungsschutzchef Maaßen einen intesiveren Austausch von Social-Media-Daten, weil es „ein wichtiges Kommunikationsmittel für Dschihadisten“ sei. Nicht nur für die, sondern auch für Milliarden Nicht- Dschihadisten, möchte man einwerfen, Menschen, die von solchen Maßnahmen ebenfalls betroffen wären.

Das Thema ist zu ernst, als dass sich Politiker Cyber-Pappkameraden aufstellen dürfen, gegen die dann mit aller rhetorischer Härte vorgegangen wird. Eine wirkliche Problemsuche wäre mit dem Eingeständnis verbunden, dass auch ein gesundes Umfeld versagen kann. Besonders beruhigend ist das nicht. Aber ehrlich.

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