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Der Bundestag: Muss er wachsen, um kleiner zu werden?

© Kay Nietfeld/dpa

Neues Wahlrecht für den Bundestag: Läuft es auf eine Obergrenze hinaus?

Union und SPD wollen wohl nicht ran an die Wahlkreise und die Direktmandate. Wie es aussieht, planen sie eine Deckelung der Abgeordnetenzahl.

Bekommt der Bundestag eine Obergrenze? Nahe an der aktuellen Abgeordnetenzahl von 709 – die 111 über der gesetzlichen Größe von 598 Sitzen liegt? Werden Überhangmandate nicht mehr voll ausgeglichen? Wer von der Aktuellen Stunde des Parlaments zur Wahlrechtsreform klare Antworten aus den Koalitionsparteien erwartet hat, der sah sich enttäuscht. Was CDU, CSU und SPD wollen, ist weiterhin nicht völlig klar – aber klarer als vorher. Eines immerhin ist nun sicher: Die Regierungsfraktionen werden nicht auf das von FDP, Linken und Grünen vorgeschlagene Modell einschwenken, nach dem die Zahl der Wahlkreise auf 250 (statt 299) reduziert und die Mindestsitzzahl auf 630 steigen.

Stattdessen könnte eben eine Obergrenze eingeführt werden. Carsten Schneider, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, sprach von einer „Begrenzung nach oben“, einem „Deckel“ unterhalb der jetzigen Abgeordnetenzahl. „Verschiedene Möglichkeiten“ würden mit der Union noch besprochen, es gehe darum, einen Weg zu finden, damit der Bundestag nicht größer werde als jetzt „und möglichst wieder kleiner“. Eine „Höchstgrenze“ stellte auch der CSU-Abgeordnete Michael Frieser in Aussicht.

Noch keine konkrete Zahl

Eine konkrete Zahl für die Obergrenze steht bisher nicht im Raum. Aber wenn Union und SPD den Parteienproporz einigermaßen abbilden wollen, ohne an die Direktmandate heranzugehen – entweder über eine Reduzierung der Wahlkreiszahl oder im Fall von Überhängen durch die Aberkennung des Mandats bei den schwächsten Wahlkreissiegern -, dann muss diese Grenze wohl recht weit oben angesiedelt werden. 670, 680, 690 Sitze könnten es dann sein. Mit solchen Zahlen jedenfalls hat die CSU zuletzt für ihren Plan geworben, der auf Frieser und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zurückgeht. Am Mittwoch äußerte der SPD-Abgeordnete Özdemir sich ganz ähnlich, der allerdings – wie es hieß – damit nicht die Fraktionslinie vortrug.

Wie auch immer: Um die Obergrenze halten zu können, müsste im Fall einer großen Aufblähung des Parlaments durch sehr viele Überhang- und Ausgleichsmandate (nach aktuellen Umfragen könnten es weit mehr als 800 Sitze sein) irgendwie verringert werden. Die CSU und Özdemir schlagen dafür eine Kappung bei den Listenmandaten vor. Die Sitze über die Höchstgrenze hinaus würden in einem ersten Schritt proportional auf die Parteien verteilt, in einem zweiten dann auf die Landeslisten. Die 299 Direktmandate blieben aber garantiert.

Ein CSU-Modell, das der CSU hilft

Der Clou aus CSU-Sicht: Im Fall von Überhängen zieht ihre Landesliste gar nicht und kann auch nicht gekappt werden. Die Partei wäre dann unter Umständen leicht überproportional im Bundestag vertreten. Bei der CDU würden vor allem Listenbewerber aus Ländern gestrichen, die keine Überhänge haben. Ob das tatsächlich am Ende Gesetz wird, ist unklar. Der CDU-Abgeordnete Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Fraktion, erwähnte in seiner Rede den Begriff Obergrenze nicht. SPD-Mann Schneider wiederum betonte, man müsse das Ziel der „proportionalen Verhältniswahl“ beibehalten.

In der CDU scheint es eher auf eine Lösung hinauszulaufen, die an vielen Punkten ansetzt: ein bisschen Obergrenze vielleicht, einige Wahlkreise dann doch abschaffen, einige Überhangmandate unausgeglichen lassen (Grosse-Brömer verwies auf die 15 Überhänge, die das Bundesverfassungsgericht einmal als akzeptabel bezeichnet hat), eventuell den föderalen Proporz ein wenig dimmen. Das Kalkül: Mit möglichst vielen kleinen Veränderungen erreichen, dass die im aktuellen Wahlrecht eingebaute „Selbstvergrößerung“ (so Özdemirs Formulierung) möglichst gering ausfällt. Reicht das nicht, könnte die Obergrenzen-Regelung dazukommen, der dann nicht gar so viele Listenmandate zum Opfer fielen. In jedem Fall aber läge die Bundestagsgröße bei Ergebnissen wie 2017 oder auch nach den aktuellen Umfragen deutlich über der noch geltenden „Normalgröße“ von 598 Sitzen.

Drei-Fraktionen-Modell abgelehnt

Die Koalitionsfraktionen lehnen den Entwurf von FDP, Grünen und Linken ab, weil er den Selbstvergrößerungsmechanismus nicht deckelt. Tatsächlich ist nicht garantiert, dass bei einer reduzierten Wahlkreiszahl von 250 und mit 630 Mindestsitzen das Parlament (plus einigen Korrekturen am Sitzzuteilungsverfahren) am Ende nicht doch größer wäre als jetzt mit 709 Abgeordneten. Ohne Chance ist auch das Modell, in dem in Überhangsituationen die schwächsten Direktmandate sozusagen gekappt würden. Die AfD forderte die anderen Fraktionen auf, es umzusetzen, weil es die einzige Möglichkeit sei, jetzt noch schnell zu einer deutlichen Verringerung der Mandatszahl zu kommen. Ein Kappungsmodell hatten auch die Grünen vor Jahren schon einmal erwogen, unter der Bezeichnung „qualifizierte Mehrheitswahl“ – vorgeschlagen von dem Politikwissenschaftler Robert Vehrkamp – spielt es neuerdings auch in anderen Fraktionen wiedereine Rolle. Doch in Union und SPD kommt das nicht an: Es könne nicht sein, sagte Frieser, dass am Ende der Bundeswahlleiter einem Wahlkreissieger das Mandat entziehe, weil er einige Zehntelprozent zu wenig habe. Redner der Opposition verwiesen dagegen darauf, dass heute nicht wenige Direktmandate mit Ergebnissen unter 30 Prozent gewonnen würden, bis hinunter auf 23 Prozent, dass also eine große Mehrheit in solchen Wahlkreisen den relativ besten Kandidaten gar nicht unterstützt habe.

Immerhin: Am Donnerstagnachmittag soll es ein Gespräch der Fraktionsführungen von Union, SPD, Grünen, Linken und FDP geben, um auszulosten, ob doch noch eine gemeinsame Lösung möglich sein könnte.

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