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Endet Netanjahus Zeit als Dauerpremier?

© Ronen Zvuliun/Reuters

Neues Regierungsbündnis in Israel: Eine verwegene Anti-Netanjahu-Koalition

Ein Bündnis aus Rechten, Linken und Liberalen will Israels Premier Netanjahu los werden. Reicht das für eine stabile Koalition? Womöglich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Böhme

Wenn nicht auf den letzten Metern noch etwas dazwischenkommt, könnte es für Israel ab nächster Woche heißen: Wir versuchen mal etwas Neues. Wollen endlich das lähmende, spaltende Alte hinter uns lassen.

Das Alte wird durch Dauerpremier Benjamin Netanjahu repräsentiert. Seit fast 13 Jahren ist er im Amt. Keiner steht länger als er an der Spitze des jüdischen Staats. Viele können sich ein Israel ohne „Bibi“ kaum vorstellen.

Doch genau darin besteht das große Problem des Landes. Netanjahu betrachtet Israel als sein Königreich, in dem er nach Gutdünken schaltet und waltet. Das Gerichtsverfahren wegen Korruption betrachtet er als Majestätsbeleidigung. Nur: Die Menschen sind – sofern sie sich nicht als glühende Verehrer verstehen – des Premiers und seiner Selbstherrlichkeit überdrüssig.

Sieben Parteien, ein Ziel

Das gilt auch für Israels Politiker. Sogar jene, die zeitweise mit Netanjahu gerne gemeinsame Sache gemacht haben, wollen ihn jetzt loswerden. Setzen alles daran, unter seine Ära einen Schlussstrich zu ziehen.

Dafür schlagen sie einen neuen, radikalen Weg ein. Eine Regierung der nationalen Einheit, die heterogener kaum sein könnte, soll Israel aus der Krise helfen. Schon in wenigen Tagen könnte eine auf den ersten Blick abwegig scheinende Koalition mit sieben Parteien ihre Arbeit beginnen.

Politisch steht Naftali Bennett weit rechts. Er wird wohl Israels nächster Regierungschef.
Politisch steht Naftali Bennett weit rechts. Er wird wohl Israels nächster Regierungschef.

© Jonathan Sindel/imago/Xinhua

Ultrarechte werden dann neben Linken und Liberalen in der Regierung sitzen, womöglich unterstützt oder zumindest geduldet von arabischen Abgeordneten. Das mutet verwegen an. Denn bisher eint dieses Zweckbündnis allein die Gegnerschaft zu Netanjahu. Ob das trägt, um die von Netanjahu hochgradig polarisierte Gesellschaft wieder zu einen und das Land zu stabilisieren, wird sich in den nächsten Monaten erweisen. Ganz ausgeschlossen ist es nicht.

Denn die ideologischen Grenzen sollen ganz pragmatisch überwunden werden – indem man sie zunächst einmal ignoriert. Naftali Bennett, Chef der siedlernahen nationalistisch-religiösen Jamina-Partei und wohl der nächste Regierungschef, gibt die Richtung bereits vor.

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„Wir werden uns darauf konzentrieren, was machbar ist, und nicht darüber streiten, was unmöglich ist.“ Die Realisierung der jeweiligen politischen Träume müsse warten. Bennett wählt seine staatsmännischen Worte mit Bedacht. Er will als Macher gesehen werden, der Israels Politik auf eine sachliche Ebene zurückführt.

Steht bald ein Ultrarechter an der Spitze Israels?

Dabei steht außer Frage: Der smarte 49-jährige Multimillionär fühlt sich berufen, das Land zu führen. Kein Wunder, dass er den ersten Zugriff auf das Amt des Ministerpräsidenten für sich reklamiert. Erst in zwei Jahren soll ihm Jair Lapid, Chef der zentristischen Zukunftspartei, nachfolgen. Genug Zeit, um sich zu profilieren.

Oppositionschef Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei hat sogar Ultrarechte dazu gebracht, ein eine Koalition einzuwilligen.
Oppositionschef Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei hat sogar Ultrarechte dazu gebracht, ein eine Koalition einzuwilligen.

© Debbie Hill/AFP

Immerhin hatte er einen besonderen Lehrmeister in Sachen Politik: Netanjahu. Doch das mit der Freundschaft ist lange her. Was beide bis heute allerdings ideologisch verbindet, ist die klare Absage an einen eigenen Palästinenserstaat und der Kampf gegen einen atomar bewaffneten Iran.

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Letzteres ist in Israel Konsens. Und um die Palästinenserfrage dürfte Bennett einen Bogen machen, um die Befürworter einer Zweistaatenlösung in seiner Koalition nicht zu verprellen. Schließlich geht es vorrangig darum, Netanjahu loszuwerden. Ob das gelingt? Vorsicht ist geboten. „Bibi“ ist politischer Überlebenskünstler. Er beherrscht alle Tricks. Dennoch scheint die Zeit des Königs vorbei zu sein. Womöglich auf Dauer.

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