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Zukunft unklar. Sexarbeiterinnen in der Bar des Kölner Bordells "Pascha".

© Oliver Berg/ picture alliance-dpa

Neues Prostitutionsgesetz tritt in Kraft: Warum Prostituierte ein Gesetz ablehnen, das sie schützen soll

Das neue Prostitutionsgesetz tritt an diesem Samstag in Kraft. Doch viele Länder haben es nicht geschafft, sich darauf vorzubereiten.

Am heutigen Samstag tritt es in Kraft: das neue "Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen". Doch dass es ab 1. Juli noch nicht Wirklichkeit wird, ist bereits klar. Die Ausführung nämlich ist Sache der Länder und Kommunen, und einer ganzen Reihe von Ländern ist es seit Verabschiedung des Gesetzes im vergangenen Oktober nicht gelungen, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. So haben Sachsen und Rheinland-Pfalz bereits erklärt, den 1. Juli nicht zu schaffen, Hamburgs Senat verspricht jetzt, im Oktober so weit zu sein.

München braucht etwa 18 Planstellen wegen des Gesetzes

Selbst das Sozialministerium von Baden-Württemberg, das noch Ende April versicherte, man arbeite mit Hochdruck daran, bis zum 1. Juli alles Nötige in die Wege zu leiten, hat kürzlich die weiße Fahne gehisst. Aktuell sieht es nach Januar aus. Der Berliner Senat wagte auf Anfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus nicht einmal eine Prognose, wann es in der Hauptstadt so weit sei. Eine "Verordnung zur Umsetzung des ProstSchG im Land Berlin" sei derzeit "in Bearbeitung".

Auch weitere Grünen-Fragen blieben unbeantwortet: „Verbindliche Aussagen“ zu den Kosten, die das Gesetz verursache, ließen sich noch nicht machen. Und wie man die Daten der Prostituierten schütze und ihre Gesundheitsberatung auch in anderen Sprachen organisiere, das, so die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, werde aktuell noch geprüft und „stellt eine große Herausforderung dar“.

Geld und Daten: Damit sind die wesentlichen Probleme des neuen Gesetzes auf den Punkt gebracht. Die Stadt München weiß bereits, was ihr an Kosten bevorsteht: Das Gesundheitsamt braucht drei Ärzte, einen Sozialpädagogen und zwei neue Verwaltungsangestellte. Das Kreisverwaltungsreferat geht von acht bis neun Planstellen für die Registrierung von Sexarbeiterinnen und weiteren neun Leuten aus, die es braucht, um die Bordelle, wie vom Gesetz gefordert, zu kontrollieren – Kosten alles in allem 1,5 Millionen Euro. Hinzu kommen etwa 200.000 Euro einmalig, um die Verwaltung in München mit den nötigen Computern auszustatten. Bezahlen wird in Bayern die Staatsregierung.

Unwissen und Verunsicherung

Der Schutz ihrer Daten, ihrer Anonymität, ist dagegen das, was den vom Gesetz betroffenen Sexarbeiterinnen und -arbeitern am wichtigsten ist. Bei der Berliner Beratungsstelle Hydra, 1980 als erste deutsche Hurenselbstorganisation gegründet, laufen seit langem "reichlich Anrufe von allen Seiten ein", sagt Hydra-Projektleiterin Simone Wiegratz. Sexworker wie Bordellbetreiber wollen wissen, was sie künftig beachten, wo und wann sie was anmelden müssen, aber auch Behördenvertreter, die jetzt neue Aufgaben in der Prostitutionskontrolle übernehmen müssen, informierten sich.

Schlimmer als Nichtwissen sei aber die Verunsicherung, die das Gesetz im Gewerbe verursacht habe, sagt Wiegratz, die auch im Vorstand des bundesweiten Zusammenschlusses Bufas ("Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter") sitzt. Die Anmeldepflicht, die das neue Prostitutionsgesetz für Sexworkerinnen vorschreibt, habe "eine horrende Angst erzeugt", gegen die auch die Hydra-Beraterinnen oft kein Mittel haben: "Wir wissen selbst nicht, wo die Daten landen", sagt Wiegratz. "Die Finanzämter werden sie sicher von Anmeldestellen bekommen. Aber schreibt das Finanzamt der Frau dann nach Hause? Wer öffnet dort den Brief, die Mutter, Kinder oder ihr Partner? Und steht als Beruf Prostitution drin?"

Beratungsstelle Hydra kritisiert Gesetz scharf

Noch schlimmer sei dies für Migrantinnen, die womöglich nur eine Postadresse in der Heimat haben und Gefahr laufen, dass man zu Hause erfährt, womit sie tatsächlich ihr Geld verdienen. Der "Hurenpass", den alle bei sich tragen müssen, verschlimmere die Situation noch: "Viele fragen sich, wann sie den zeigen müssen." Das müssten sie natürlich nur bei der Arbeit. Aber das Gesetz sei da nicht klar genug.

Die Angst enttarnt zu werden, sei schon immer dagewesen, sagt Wiegratz, genau deswegen hätten sich Prostituierte ihr Gewerbe bisher oft mit "Tänzerin" oder "Masseurin" angeben. Das war auch seit 2002 so, als das liberale erste Prostitutionsgesetz das Gewerbe vom Etikett der Sittenwidrigkeit befreite und Sexarbeiterinnen ermöglichte, in die Sozialversicherung zu gehen. Doch jetzt wird Anonymität nicht mehr möglich sein, es sei denn, sie gehen ihrer Arbeit unangemeldet und damit illegal nach.

Sexworker ziehen vors Verfassungsgericht

Weil sie darin einen massiven Eingriff in ihre Grundrechte sehen, sind Anfang Juni erstmals in der deutschen Geschichte Prostituierte vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen. Die Klage des Frankfurter Vereins "Dona Carmen" und seiner Unterstützerinnen hat der Verfassungsjurist und Richter am Berliner Verfassungsgerichtshof des Landes, Meinhard Starostik eingereicht.

Er will in Karlsruhe nicht nur die Kondompflicht und die Kontrolle von Bordellen angreifen, sondern hält eben vor allem die von den Sexwork-Selbstorganisationen besonders heftig bekämpften Zwang zur Anmeldung als Sexworker und die Pflicht zur Gesundheitsberatung für grundgesetzwidrig - nicht zuletzt, weil sie in so engen Abständen vorgeschrieben wird. Alle zwei Jahre ist die Anmeldung fällig, einmal im Jahr die Beratung, für junge Frauen und Männer unter 21 Jahren sogar alle sechs Monate. "Der Gesetzgeber scheint davon auszugehen, dass alle Prostituierten bescholten sind", sagte Starostik der "Frankfurter Rundschau".

Dass dies die Frauen und Männer im Sexgewerbe schütze, wie die Autorinnen des Gesetzes behaupten, stimmt aus Sicht der Fachleute nicht. "Es ist ein Gesetz der Einschränkungen und heißt nicht umsonst "Gesetz zur Regulierung", sagt Simone Wiegratz. Der Schutz der Sexarbeiterinnen, den es auch im Namen trägt, bleibe "eine hohle Phrase", solange es für sie keine anderen Jobs gebe, mit denen sie ihren Lebensunterhalt sichern könnten. Eine Joboffensive enthalte das Gesetz, meint Wiegratz, "nur für die Behörden", deren neue Prostitutionsbürokratie neue Planstellen braucht. "Ein Symbolgesetz" nennt es Claudia Zimmermann-Schwartz, bis vor kurzem zuständige Abeilungsleiterin im nordrhein-westfälischen Gleichstellungsministerium und langjährige Leiterin des "Runden Tischs Prostitution" des Landes. Es setze "auf Kontrolle statt Schutz und verstärkt die Stigmatisierung". Das ProstSchG sei einfach "schädlich".

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