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Die Klage einer bayerischen Jurastudentin gegen das Kopftuchverbot im Gerichtssaal wurde abgewiesen. Sie scheiterte letztes Jahr auch in Karlsruhe.

© Karl-Josef Hildenbrand/pa-dpa

Neues Kopftuchverbot?: „Setzt euch mit unseren Lebensrealitäten auseinander“

Die Frankfurter Jura-Studentin Rabia Küçükşahin hat eine Petition gegen neue Kopftuchverbote gestartet. Ein Gespräch über deren Folgen für Frauen.

Frau Küçükşahin, Sie studieren an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main Jura, sind Muslima, tragen Kopftuch und haben am Montag dieser Woche eine Petition gegen das “Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten" lanciert. Es war Konsequenz aus dem Fall eines Berliner Polizisten mit Nazi-Tattoos, enthält aber nun auch die Möglichkeit, religiöse Kleidung zu verbieten. Es hat bereits den Bundestag passiert und liegt an diesem Freitag dem Bundesrat vor. Was hat Sie zu Ihrer Petition bewogen?

Als Juristin lese ich wie viele andere regelmäßig die Legal Tribune Online. Dort fand ich einen Beitrag der Jura-Professorin Kirsten Wiese über das Gesetz. Sie schrieb dort unter anderem, dass nicht ausreichend öffentlich thematisiert wurde, dass in dieses Gesetz auch das  Kopftuch einbezogen wurde. Denn das Gesetz wurde ohne Aussprache im Bundestag beschlossen. Ich habe darüber mit Freund:innen diskutiert. Zwei von ihnen schlugen vor, diese Öffentlichkeit doch einfach mit einer Petition herzustellen. Wir haben also einen Appell an die Mitglieder des Bundesrats veröffentlicht, die am Freitag ja oder nein sagen können zu dem Gesetz. Ich habe an insgesamt hundert Menschen geschrieben, die sich im Bundesrat damit befassen werden.

Wie ist Ihre Zwischenbilanz?

Wir dachten anfangs: Wenn wir 1000 Stimmen bekommen, sind wir schon glücklich. Dann waren es 60.000 in nur zwei Tagen. Inzwischen sind es, Stand Mittwoch- auf Donnerstagnacht, 100.000 Stimmen. Die Pdf mit den Unterschriften ist 4.294 Seiten lang. Wir sind überwältigt. Auch von den Kommentaren derer, die unterschrieben haben. Viele nehmen das Neutralitätsversprechen des Staats beim Wort und schreiben: Genau dafür müssen wir uns einsetzen, das müssen wir erst einmal erreichen. Der Staat, der religiöse Zeichen verbietet – übrigens ja nicht nur das Kopftuch, sondern auch die Kippa oder den Habit katholischer Nonnen -, ist nicht neutral.

Das sehen viele genau anders. Was sagen Sie denen?

 Alle diese Verbote haben die Fiktion des “objektiven Beobachters”, der sich durch das Kopftuch irritiert fühlen könnte, der annehmen müsse oder könne, die Beamtin oder Richterin übe ihr Amt deswegen nicht neutral aus. Aber wer ist denn dieser objektive Beobachter? Den gibt es doch so gar nicht. Man kann fragen, ob ein Mensch aus Fleisch und Blut jemals in diesem Sinne “neutral” auftreten kann. Ist nicht die Neutralität des Staates gefährdet, der etwas Unmögliches vorschreibt? Mich irritiert auch der Anlass dieses Gesetzes, das sich ja ursprünglich gegen Nazi-Tattoos richten sollte. Das kann doch wirklich nicht sein, dass uns NS-Tätowierungen ein Gesetz gegen religiöse Kleidung bescheren!

Ist mehr Öffentlichkeit das einzige Ziele ihrer Petition?

 Es geht auch darum, dass die Beamtenschaft in Deutschland die pluralistische Demokratie abbildet. Die Wirtschaft bemüht sich längst um diverse Belegschaften in den Betrieben. Und auch der Deutsche Beamtenbund setzt sich dafür ein. Da ist so ein Gesetz einfach widersinnig.

Rabia Küçükşahin
Rabia Küçükşahin

© privat

Es gab in den letzten 20 Jahren eine Menge höchstrichterlicher Entscheidungen zum Kopftuch. Einige forderten enge Grenzen für Verbote im öffentlichen Dienst, andere – zum Beispiel der Europäische Gerichtshof -  erlaubten auch Kopftuchverbote in der Privatwirtschaft. Wie sehen Sie als angehende Juristin die Lage – auch für sich selbst und Ihre Kommilitoninnen?

Ich erinnere mich da vor allem an die Entscheidung in Karlsruhe 2015…

 … als das Verfassungsgericht ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnnen untersagte und es nur erlaubte, falls konkrete Gründe vorlägen, zum Beispiel eine tatsächliche Gefährdung des Schulfriedens.

Das war aus meiner Sicht bahnbrechend. Für uns kopftuchtragende Juristinnen war dann letztes Jahr die Entscheidung zum Kopftuch im Rechtsreferendariat ein schwerer Schlag.

Da entschied dasselbe Verfassungsgericht, diesmal der Zweite Senat, dass Referendarinnen bei bestimmten Tätigkeiten das Kopftuch verboten werden darf.

Wir haben so lange auf die Klärung dieser Frage gewartet. Und dann diese Entscheidung. Die übrigens auch von vielen Jurist:innen kritisiert wird.

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Wenn Sie sich entschließen, mit Kopftuch Rechtswissenschaft zu studieren, heißt das nach Lage der Dinge heute: Sie werden nicht im Kernarbeitsbereich einer Juristin arbeiten können. Sie werden nicht Richterin und womöglich auch als Anwältin vor Gericht Probleme bekommen. Was bedeutet das für Sie?

Es ist sehr frustrierend. Unsere Berufsfreiheit wird infrage gestellt, sie ist Gegenstand von gesellschaftlichen Debatten und auch Gesetzen, die unsere berufliche Zukunft einengen. Das ist keine einfache Situation. Trotz des rauen gesellschaftlichen Klimas und antimuslimischen Ressentiments sehe ich aber keinen anderen Weg, als dass wir weiter für elementare Bürgerrechte kämpfen.  

Haben Sie Hoffnung, dass Ihre Aussichten sich ändern werden?

 Im Augenblick habe ich vor allem den Eindruck, dass wir noch nicht ausreichend vernetzt sind, dass uns der Raum fehlt, in dem wir uns artikulieren können und gehört werden. Ich hoffe, wir bekommen das noch hin. Wir Betroffene sind kaum Teil des öffentlichen Dialogs. Solange das so ist, habe ich wenig Hoffnung, auch nicht darauf, dass wir den Blick auf Minderheiten, religiöse und andere, verändern können. Die Behörden, der öffentliche Dienst sind ja gerade nicht neutral, es gibt genug glaubhafte Berichte über Rassismus, über Racial Profiling. Und das trifft auch religiöse Minderheiten. 

Zurück zum aktuellen Gesetz: Über seine Wirkungen gibt es ja durchaus unterschiedliche Meinungen. Im Verfassungsblog wurde die Meinung vertreten, es biete eine Ermächtigung zum bundesweiten Kopftuchverbot, die von Ihnen zitierte Kirsten Wiese sieht wenig juristische Folgen, sondern einfach ein Signal gegen das Kopftuch. Wie sehen Sie es?

Wenn es “nur” ein Signal sein sollte, dann ist es jedenfalls bei mir angekommen. Klar ist, dass in acht Bundesländern das äußere Erscheinungsbild von Beamt:innen nicht reguliert ist. Dort könnte dieses Bundesgesetz dramatische Folgen haben.

Die Abwehr gegen das Kopftuch ist mancherorts heftig. Einige Argumente, die Sie kennen und jede andere auch immer wieder hört, die sich mit dem Thema beschäftigt: Das ist doch gar keine religiöse Vorschrift, viele Musliminnen tragen es nicht. Oder: Es ist frauenfeindlich. Ihre Antwort?

Ich antworte darauf, dass es darum doch gar nicht geht. Es geht darum, dass Frauen frei entscheiden können, was sie tragen. Es ist die freie Entscheidung jedes muslimischen Individuums, ob sie das Kopftuch für sich als religiöses Gebot ansieht oder nicht. Es ist die Entscheidung von Musliminnen, nicht die Entscheidung von Menschen, die keine Muslim:innen sind. Ich als Muslima entscheide ja auch nicht, was die Pflicht einer Christin ist oder nicht.

Damit sind wir beim nächsten Argument: Frauen, die das Kopftuch tragen, sagen nur, sie täten es freiwillig. In Wirklichkeit zwingt sie der Vater, der Ehemann, der große Bruder dazu.

(lacht) Ich stehe mit meinem Namen und meinem Gesicht für diese Petition. Wenn mich jemand dazu gezwungen hätte, das Kopftuch zu tragen, hätte ich sicher eine solche Petition nicht gestartet. Die Menschen sollten sich mit unseren Lebensrealitäten auseinandersetzen und das direkte Gespräch mit den Betroffenen suchen, und nicht irgendwelchen Verschwörungsmythen folgen. Wohin das führt, sehen wir ganz aktuell bei den so genannten Querdenkern. 

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