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2016 klagte eine Jurastudentin vor dem Verwaltungsgericht Augsburg gegen ein Kopftuchverbot für Richterinnen. Das Bild zeigt die Klägerin im Gerichtssaal.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Falsche Toleranz: Das Kopftuch ist nicht neutral

Ein Verbot des Kopftuchs für Beamtinnen ist nun möglich. Richtig so, meint der Islamismusexperte Mansour. Es ist mehr als ein Stück Stoff. Ein Gastbeitrag.

Ahmad Mansour ist Psychologe und Autor. Er beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der islamischen Gemeinschaft.

Neutralität ist das oberste Gebot, mit dem der säkulare Staat glaubwürdig repräsentiert wird. Durch das Neutralitätsgebot soll eine unparteiische Berufsausübung gewährleistet sein, unabhängig von der eigenen Weltsicht oder religiösen Einstellung. Das neue „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten“, welches letzten Donnerstag den Bundestag passierte, ist ein Gewinn der Freiheit, der Säkularität. Denn es eröffnet nun die Möglichkeit, „religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbildes“ von Beamtinnen und Beamten einzuschränken oder zu untersagen.

Das Gesetz soll verhindern, dass Polizisten extremistische Tattoos zeigen - auch ein Kopftuchverbot wird möglich

Dieses Gesetz ist als Kopftuchverbotsgesetz interpretiert worden (auch im Tagesspiegel erschien ein Kommentar mit entsprechendem Tenor, Anm. der Red.). Andere gingen noch weiter: Das Gesetz sei ein Berufsverbot für kopftuchtragende Musliminnen und ein Beweis, welch rassistische Grundhaltung diese Gesellschaft aufweise.

Diese Haltung zeugt von falsch verstandener Toleranz. Denn je vielfältiger, multireligiöser und -kultureller unsere Gesellschaft wird, umso wichtiger ist die Neutralität des Staates für das friedliche Zusammenleben.

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Beim Thema Kopftuch wird oft aus einer westlichen und durch die Aufklärung geprägten Perspektive auf ein Phänomen der Voraufklärung geblickt. Das blockiert, wie so oft, die sachliche und menschenrechtsorientierte Debatte. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Wer also mit den Augen der Demokratie die Gepflogenheiten von Nichtdemokratien betrachtet, erzeugt kognitive Verzerrungen, die unsere Urteilskraft massiv beeinträchtigen.

Das Kopftuch ist verbunden mit der Vorstellung eines strafenden, patriarchalen Gottes

Das aus religiösen Gründen getragene Kopftuch ist nicht irgendein Stück Stoff. Dieses Kopftuch ist kein Kleidungsstück, das heute angelegt und morgen abgelegt werden kann. Das Tragen basiert auf einer fixierten Vorstellung vom Körper der Frau und vom Begehren des Mannes.

Entstanden ist die Forderung, dass Frauen es tragen, durch die Überlieferung, Allah habe dem Propheten befohlen, den Frauen aufzutragen, sich zu bedecken. Welche Frau dies nicht befolge, deren Haare würden nach ihrem Tod in der Hölle brennen. Nicht immer verbirgt sich ein drohender Vater, Bruder oder Ehemann hinter der Entscheidung für die Verhüllung. Aber immer ein strafender, patriarchaler Gott. Sollte eine Frau bewusst entscheiden, ihr Kopftuch abzulegen, drohen Ausgrenzung und manches Mal der Kontaktabbruch.

Religionsfreiheit bedeutet auch Freiheit von Religion

Dass Religionsfreiheit auch die Freiheit von Religion bedeutet, wird in diesem Kontext häufig vergessen. Das ist mit den Grundprinzipien einer aufgeklärten Gesellschaft, mit dem Recht auf Selbstentfaltung nicht vereinbar.

Immer geht es im religiösen Kontext um das Argument, Männer sollten nicht verführt und verlockt werden, ihre Triebe nicht gereizt. Mithin müssen Frauen sich als sexuell bedrohlich, gefährlich und unrein betrachten, ihr Körper gefährdet den keuschen Umgang zwischen den Geschlechtern. Männer wiederum müssen sich ebenso als bedrohlich empfinden: Sie sind ihrer selbst nicht mächtig, ihnen fehlt die Ich-Stärke, um ihre Triebe im Griff zu haben. Das verhüllende Tuch führt so zur Tabuisierung der Sexualität, es verbindet sie mit Ängsten und Befürchtungen, und lässt kaum Aufklärung und keinen gleichberechtigten Umgang zwischen den Geschlechtern zu.

Frauen und Männer sollen sich als bedrohlich empfinden, die Sexualität wird tabuisiert

Welche Auswirkungen hätte es beispielsweise, wenn eine Muslimin, die sich von ihrem Mann scheiden lassen und gleichzeitig das Kopftuch ablegen möchte, vor einem Familiengericht auf eine Richterin mit Kopftuch trifft? Laut einer Erhebung des „Mediendienst Integration“ trägt etwa ein Drittel der in Deutschland lebenden Musliminnen ein Kopftuch, also eine Minderheit. Wir dürfen beim Versuch tolerant und anti-antimuslimisch zu wirken, nicht die Mehrheit der Musliminnen in Deutschland vergessen, die kein Kopftuch tragen und oft in der Schule oder in der Familie deshalb von anderen missioniert, gemobbt oder sogar angegriffen und als falsche Muslime dargestellt werden.

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Religionsfreiheit ist wichtig, ja. Es gilt, sie zu wahren, ja. Aber auch dieses Grundrecht hat dort seine Grenze, wo eine gesellschaftliche Grundordnung verletzt wird und ein höheres Rechtsgut betroffen ist – wie hier, wo wir es mit staatlichen Schulen und einem staatlichen Bildungsauftrag, Gerichten oder den Aufgaben der Polizei zu tun haben. Es ist unproblematisch, wenn Frauen etwa als Angestellte von Banken oder Fabriken ein Kopftuch tragen. In den Bereichen jedoch, in denen Angestellte oder Beamte den Staat repräsentieren, als Lehrerin, Erzieherin, Polizistin oder Richterin, bleibt religiöse Neutralität unumgänglich. Deutschland ist ein säkularer Staat: Staat und Religion sind grundsätzlich getrennte Bereiche mit getrennten Normen.

Wie will eine Lehrerin mit Kopftuch Kindern einen offenen, angstfreien Umgang mit Sexualität vermitteln?

Eine Lehrerin, eine Richterin oder Polizistin, die ihre Weiblichkeit hinter Tüchern und Gewändern versteckt, verkörpert das Gegenteil dieser Errungenschaften. Wie will sie Kindern einen offenen, angstfreien Umgang mit Geschlechtlichkeit und Leiblichkeit vermitteln? Wie will sie jungen Männern vorleben, dass eine Frau sich selber gehört, und nicht abhängig ist von den Blicken der Männer?

Wie könnte eine kopftuchtragende Lehrerin jungen Mädchen vorleben, dass sie autonom über sich bestimmt, unabhängig von traditionellen Setzungen und Verboten? Welche Haltung würde eine Richterin wohl gegenüber Islamkritikern zeigen? Keine Frage, sicher würden auch kopftuchtragende Frauen professionell und sachlich arbeiten können. Aber eines bleibt: aufgrund ihrer Entscheidung das Kopftuch zu tragen, kommunizieren sie Parteilichkeit und fehlende Neutralität.

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