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Vom Regierungssprecher zum Ministerpräsidenten Japans: Yoshihide Suga

© dpa/AP/Eugene Hoshiko/Pool

Neuer Ministerpräsident für Japan: Regierungspartei macht Suga zum Nachfolger Abes

Japan bekommt nach fast acht Jahren der Ära Abe einen neuen Regierungschef. Die Liberaldemokraten entscheiden sich für den bisherigen Regierungssprecher Suga.

Japans Regierungspartei LDP hat Yoshihide Suga zum Parteivorsitzenden und damit faktisch zum neuen Ministerpräsidenten des Landes gewählt. Wegen der Mehrheit der Liberaldemokratischen Partei (LDP) im maßgebenden Unterhaus des Parlaments ist Suga auch die Wahl zum Regierungschef der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt am Mittwoch sicher.

Der 71-Jährige bisherige Kabinettssekretär und Regierungssprecher will als Nachfolger des Partei- und Regierungschefs Shinzo Abe, der kürzlich aus gesundheitlichen Gründen abrupt seinen Rücktritt angekündigt hatte, dessen Politik nach eigenen Aussagen fortsetzen. Doch mangelt es Suga nach Ansicht von Politikanalysten an Visionen für Japan und an außenpolitischer Erfahrung.

Bei der Wahl am Montag setzte sich Suga mit 377 Stimmen klar gegen den Ex-Außenminister Fumio Kishida (89 Stimmen) durch. Der frühere Verteidigungsminister Shigeru Ishiba, der als reformfreudig gilt und sich als seltener parteiinterner Kritiker Abes hervorgetan hatte, kam auf lediglich 68 Stimmen.

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Die Wahl von Suga, der fast acht Jahre lang als Kabinettssekretär Abes rechte Hand war, galt nur als eine Formsache. Denn er hatte sich zuvor in den Hinterzimmern der seit Jahrzehnten fast ununterbrochen regierenden LDP die Unterstützung wichtiger parteiinterner Machtgruppen gesichert. Diese Machtgruppen dürften im Gegenzug nun erwarten, dass ihre Leute bei der anstehenden Regierungsbildung von Suga Kabinettsposten bekommen.

Suga gilt als spröder Pragmatiker

Suga mit seinem etwas trägen Blick haftet das Image eines trockenen, altmodischen Politikers an. Sein Vater war Landwirt aus einem Dorf in Akita im kalten Norden Japans, seine Mutter Lehrerin. Suga studierte in Tokio Recht und Politik, mit 47 kam er ins Parlament. In der von Politikerdynastien geprägten LDP ist der Aufstieg eines Mannes wie Suga an die Spitze ungewöhnlich. „Selbst in seinen wildesten Träumen hat er sich nie vorstellen können, dass er eines Tages mal Ministerpräsident sein wird“, erklärte Politikprofessor Koichi Nakano von der Sophia University der Deutschen Presse-Agentur in Tokio.

Das habe Suga nicht zuletzt Abe zu verdanken. Suga verstand es, die mächtigen Bürokraten zu kontrollieren, und pflegte auf seinen täglichen Pressekonferenzen unliebsame Fragen von Journalisten zu ignorieren. Auf diese Weise stand er fast acht Jahre Abe, dessen Umfragewerte auch wegen Skandalen um Vetternwirtschaft gesunken waren, schützend zur Seite.

Wie lange Suga, der in der LDP über keine eigene Machtgruppe verfügt, regieren kann, bleibt abzuwarten. Es wird spekuliert, dass er schon in Kürze Neuwahlen zum Parlament anberaumen könnte. Seine Umfragewerte sind derzeit gut.

Anders als sein bisheriger Chef Abe, der von einem sentimentalen Nationalismus getrieben war, Japan wieder zu einem stolzen und „schönen“ Land machen wollte und für sein inniges Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump bekannt war, scheint Suga weniger an Ideologie interessiert. Auch ist es schwer vorstellbar, dass der spröde Suga Trump ähnlich umgarnen wird, wie Abe es tat. Suga ist laut Beobachtern der Ansicht, dass das G7-Land Japan vor allem einen starken Privatsektor braucht, um global ernst genommen zu werden.

Ihm geht es um die Umsetzung konkreter pragmatischer Schritte. Um unter Abwanderung leidenden Dörfern zu helfen, initiierte er ein Steuerverfahren, bei dem Städter die Wahl haben, ihre Lokalsteuer lieber ländlichen statt städtischen Gemeinden zukommen zu lassen. Um sein Image aufzupolieren, kursierten kurz vor seiner parteiinternen Wahl Bilder von ihm, die ihn als lockerer Mensch mit einem Faible für süße Pfannkuchen zeigen sollten. Zudem habe er einen schwarzen Gürtel in Karate und soll jeden Morgen 100 Rumpfbeugen machen. Was ihm laut politischen Beobachter jedoch mangelt, sind Visionen.

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Als künftiger Ministerpräsident übernimmt Suga von seinem Vorgänger viele unbewältigte Aufgaben. Die Wirtschaft, die Abe mit seiner „Abenomics“ genannten Politik aus lockerer Geldpolitik, schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen und dem Versprechen von Reformen aus der Stagnation holen wollte, ist im Zuge der Coronakrise in eine tiefe Rezession gerutscht. Suga will dennoch die „Abenomics“ fortsetzen. Schließlich habe sie Millionen Arbeitsplätze geschaffen.

Hinzu kommen die rasante Überalterung der Gesellschaft und die Verödung der ländlichen Regionen im Zuge der Abwanderung in die großen Städte. Auch außenpolitisch steht die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt vor großen Herausforderungen. Das Verhältnis zu China, das wegen Inselstreitigkeiten sowie Japans Umgang mit seiner Kriegsvergangenheit schwierig ist, hat sich zwar zuletzt verbessert.

Die Beziehungen zu Südkorea sind dagegen infolge eines Handelsstreits schwer belastet. Auch mit Russland liegt Japan seit Jahrzehnten im Streit um die Kurilen-Inseln im Pazifik. Beobachter erwarten, dass Suga aus Mangel an außenpolitischer Erfahrung - und Interesse - einen erfahrenen Außenminister ins Kabinett holen wird. (Lars Nicolaysen, dpa)

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