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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, Beatrice Kramm (ehemalige Präsidentin der IHK Berlin) und Daniel-Jan Girl, neuer Präsident der IHK .

© Kevin P. Hoffmann

Neuer IHK-Präsident in Berlin: Klatsche für das Establishment

Arrogante Warnungen vor der "falschen" Wahl nervten die Delegierten. Eine Sternstunde der Demokratie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Normalerweise sind Abstimmungen über neue Chefs von Industrie- und Handelskammern eine Bestätigung der Vorgeschlagenen und damit wenig aufregend. Die Berliner scheren diesmal aus. Die überraschende Wahl von Daniel-Jan Girl zum neuen IHK- Präsidenten ist also eine Klatsche für das Kammer-Establishment.

Aber sie ist auch ein Mutmacher für Aktive in fast allen Institutionen – vom Sport- oder Kleingartenverein bis zum Elternbeirat der Schule –, denn sie beweist, dass die in drögen Satzungen und Geschäftsordnungen festgelegten demokratischen Spielregeln mächtiger sein können als der Klüngel, der in vielen Organisationen offen gelebt wird. Man kann sogar erbmonarchistische Strukturen aufbrechen.

Normalerweise wird der Vorschlag des scheidenden Chefs nur bestätigt

Vorgesehen war das nicht. Beatrice Kramm, Girls Vorgängerin, hatte als erste Frau in dieser Funktion genau das gemacht, was schon viele der Herren vor ihr gemacht haben: Bei ihrem angekündigten Rückzug im Frühsommer nominierte sie ihren Nachfolgefavoriten, den Familienunternehmer Tobias Weber.

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Der erhielt bei der Wahl am Dienstagnachmittag dann aber nur 21 von 70 Stimmen. Girl erhielt 46 und ist nun oberster Repräsentant einer Organisation, in der alle Unternehmen und Gewerbetreibende (Zwangs-)Mitglied sind. Wer dieses Ehrenamt bekleidet, gilt erster Ansprechpartner für den Senat bei Fragen zur lokalen Wirtschaft und oft auch darüber hinaus.

Mehrere Delegierte berichten, sie seien unentschieden in die nicht-öffentlichen Sitzung gegangen. Sie kannten und schätzen Kramms Favoriten Weber und auch Girl, der seit 2017 im Präsidium sitzt, aber erst vor Tagen seine Kandidatur erklärte.

Viele fanden Girls Vorstellung spontan erfrischender und reagierten allergisch auf die Fürsprache von Kramm, die Girl in der Sitzung gefragt haben soll, was sein Unternehmen, die Deutschen Gesellschaft für multimediale Kundenbindungssysteme mbH, „denn überhaupt macht“. Und sie regierten allergisch auf Äußerungen von Kramms Vorgänger, Eric Schweitzer, Mitinhaber des Recyclingkonzerns Alba und bis März Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Er soll vor „Hamburger Verhältnissen“ gewarnt haben. In der Hamburger Handelskammer setzten sich 2017 sogenannte „IHK-Rebellen“ in der Wahl durch und stellten die 1665 gegründete Organisation auf den Kopf. Untergegangen ist sie gleichwohl nicht.

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