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Mit 57 Kilometern ist der Gotthard-Tunnel der längste der Welt.

© LAURENT GILLIERON/dpa

Neuer Gotthard-Basistunnel: „Bahn frei“ für das Jahrhundertbauwerk

Mit der Eröffnung des neuen Gotthard-Tunnels setzt die Schweiz ein Zeichen für Europa. Bundeskanzlerin Merkel schlägt den Bogen zur Flüchtlingskrise.

Um 13.40 Uhr verschwand der Promi- Zug in der linken Röhre. An Bord machten es sich die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich bequem. „Ich beglückwünsche die Schweiz“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel voller Anerkennung für das technische Meisterstück, das sie erblicken konnte. Später brachte es der österreichische Bundeskanzler und frühere Bahnchef Christian Kern auf den Punkt: „Bravo.“

In der Tat geht der 1. Juni 2016 als einer der großen Tage in die Geschichte Helvetiens ein. Die Eidgenossen feierten im Beisein europäischer Top-Politiker die Eröffnung ihres größten Bauwerks: des Gotthard-Basistunnels.
So fehlte es an diesem Tag auch nicht an großen Worten.

Merkel würdigte das Bauwerk als Symbol für die Verbundenheit der Völker. „Wir haben jetzt ja im Schengen-Raum sehr viel die Diskussionen – auch angesichts der Flüchtlinge –, wie wir unsere Freizügigkeit innerhalb Europas erhalten wollen“, sagte die Kanzlerin während der Fahrt durch den Tunnel dem Schweizer Fernsehen. „Und dies ist natürlich ein wunderbares Beispiel dafür, dass man jetzt von Italien über die Schweiz viel besser die Rhein-Schiene hochfahren kann bis in die Niederlande.“

Ein doppelter Weltrekord

Mit 57 Kilometern bilden die beiden hochmodernen Gotthard-Röhren den längsten Eisenbahntunnel der Welt. Sie verbinden Erstfeld, Kanton Uri und Bodio, Kanton Tessin. Sie verbinden Europas Norden und Süden. Zudem ist die Konstruktion mit ihren bis zu 2300 Metern unter der Oberfläche des Gotthard- Massivs der tiefste Eisenbahntunnel der Welt – doppelter Weltrekord also. „Bahn frei“, rief der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Ammann.

Mit dem Gotthard-Basistunnel haben die Schweizer das Herzstück der sogenannten Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) abgeliefert. Weitere Elemente der NEAT sind der Lötschberg-Basistunnel, durch den bereits seit 2007 der Verkehr rollt, und der Ceneri-Basistunnel. Der Ceneri-Tunnel liegt auf der Gotthard-Achse weiter südlich und soll 2019/20 den Betrieb aufnehmen. Die NEAT bringt große Teile des alpenquerenden Verkehrs von der Straße auf die Schiene und schont somit die Umwelt.

Da die Schienenstrecken im Gotthard praktisch keine Steigungen und Kurven aufweisen, können die Züge mit hohem Tempo hindurchrauschen. Personenzüge erreichen bis zu 250 Stundenkilometer. Das ist wesentlich schneller als im 1882 eingeweihten alten Gotthardtunnel.

Zudem steigt die Kapazität. Auf der neuen Gotthard-Achse werden ein Viertel mehr Personenzüge rollen. Der Güterverkehr wird sich noch stärker erhöhen: von bislang rund 20 Millionen Tonnen auf rund 50 Millionen Tonnen.
Für den Gotthard-Basistunnel fallen Kosten von mehr als zwölf Milliarden Schweizer Franken an, das gesamte NEAT-Projekt schlägt mit gut 23 Milliarden Schweizer Franken zu Buche. „Wir stemmen die Kosten alleine“, sagt Adolf Ogi, der als Verkehrsminister von 1988 bis 1995 das Ja der Schweizer zur NEAT in einer Volksabstimmung herbeiführte.

„Wir wollen die Bevölkerung mitnehmen“

Die NEAT-Kosten werden aus drei Quellen gespeist: einer Abgabe für den Schwerverkehr auf Straßen (LSVA) sowie der Mehrwertsteuer und der Mineralölsteuer. Bedauern die Schweizer, dass sie die anderen Europäer nicht um einen Beitrag gefragt haben? „Nein“, sagt Ogi. „So können wir auch alleine über die Projekte entscheiden.“

Im 19. Jahrhundert war das noch anders. An der Finanzierung des ersten Tunnels durch den Gotthard beteiligten sich maßgeblich Italien und Deutschland. Davon werden die Schweizer weiter profitieren: Durch den alten Tunnel sollen auch in Zukunft Züge rollen. Heute allerdings ist Deutschland eher ein Bremser. Bahnchef Rüdiger Grube verteidigte die Verzögerungen beim Ausbau der Zubringerstrecken für den neuen Gotthard-Tunnel.

Der Ausbau der deutschen Zubringerstrecke Karlsruhe–Basel brauche die Unterstützung der Bürger, sagte Grube angesichts von 170 000 Einwendungen von Anwohnern, Gemeinden und Landkreisen. „Wir wollen die Bevölkerung mitnehmen.“ Es liege daher in der Natur der Abläufe, dass Zeitziele nicht immer eingehalten werden könnten. Es gehe Schritt für Schritt weiter. So wie die Schweizer ihr Jahrhundertbauwerk Meter für Meter in die Alpen gefräst haben.

Jan Dirk Herbermann

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