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Die Friedensbewegung ist wieder da. In Berlin stand die Demonstration unter dem Motto: "Stoppt die Eskalation - Atomwaffen ächten!"

© Paul Zinken/dpa

Neue US-Atomstrategie: Atomwaffen als Abschreckung gegen Cyberattacken

Der Krieg der Knöpfe: Das Pentagon warnt vor Cyberangriffen auf Großstädte. Neue taktische Atomwaffen sollen die Gegner abschrecken. Wie sinnvoll ist das?

Der Kalte Krieg ist zurück, zumindest in der Sprache. Begriffe wie „Logik der Abschreckung“, „Glaubwürdigkeit“, „Eskalationsdominanz“, „gegenseitig zugesicherte Zerstörung“, „flexible Antwort“ tauchen wieder auf und müssen wieder erklärt werden. Dies alles vor dem Hintergrund der vor zwei Wochen veröffentlichten neuen Atomwaffenstrategie der USA. Die „Nuclear Posture Review“, entwickelt vom Pentagon, empfiehlt die Modernisierung der Triade aus Atom-U-Booten, Interkontinentalraketen und strategischen Bombern. Außerdem sollen neue, kleinere Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft entwickelt werden, „Low-Yield-Waffen“ genannt.

Zur Begründung heißt es: Die Vernichtungskraft der bislang vorhandenen rund 7000 Nuklearsprengköpfe, die jedes Ziel auf der Welt durch Interkontinentalraketen in Minutenschnelle erreichen können, sei so verheerend, dass ihr Einsatz unglaubwürdig sei. Dadurch verlören sie ihre abschreckende Wirkung. Allerdings fallen unter „Low-Yield-Waffen“ auch solche mit einer Sprengkraft von bis zu 20 Kilotonnen, womit sich ganze Städte auslöschen lassen. Zum Vergleich: Die Atombombe auf Hiroshima hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen.

Die Pläne von US-Präsident Donald Trump sind ambitioniert. Den Wehretat will er von heute 606 Milliarden Dollar auf 742 Milliarden im Jahr 2023 erhöhen. Für die Modernisierung der Streitkräfte, inklusive der Atomwaffen, sollen in den nächsten 30 Jahren 1,2 Billionen Dollar ausgegeben werden. Kritiker warnen deshalb vor einem neuen atomaren Wettrüsten. Besonders durch die Entwicklung neuer taktischer Atomwaffen werde eine gefährliche Spirale in Gang gesetzt.

Die Erde zerstören, weil die Sowjets Paris erobert haben?

Man fühlt sich zurückversetzt in die friedenspolitischen Debatten der achtziger Jahre, als das Konzept der „massive retaliation“ ersetzt wurde durch das der „flexible response“. Auch damals hieß es, die nukleare Abschreckung funktioniere dann, wenn der Gegner an den Einsatz atomarer Waffen im Falle eines Konfliktes glaubt. Wenn etwa die USA einen sowjetischen Vormarsch auf Westeuropa nur durch einen „all out nuclear war“ vergelten können, sei die Drohung damit unglaubwürdig. Die Erde zerstören, weil die Sowjets Paris erobert haben? Welche US-Regierung wäre dazu wohl bereit?

Das Dilemma der nuklearen Abschreckung war stets, erstens mit einer Waffe drohen zu müssen, die einzusetzen unmoralisch wäre, und zweitens mit dem Einsatz dieser Waffe glaubwürdig drohen zu müssen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit ihres Einsatzes zu reduzieren. Paradox gesagt trugen die Ängste der Friedensbewegung zum Funktionieren der Abschreckung bei, da die Friedensbewegten den Sowjets zeigten, dass auch sie von der Vergeltungsbereitschaft der Nato überzeugt waren.

Ein Aspekt der neuen „Nuclear Posture Review“ verdient dennoch besondere Aufmerksamkeit. Die USA haben sich immer auch einen Erstschlag mit Atomwaffen vorbehalten, etwa im Falle des Einsatzes biologischer Waffen gegen die Vereinigten Staaten. Unter „extremen Umständen“ dürfe der Präsident selbst bei einem nicht nuklearen Angriff den Einsatz von Atomwaffen anordnen. Er sei dabei allerdings an das Prinzip der Proportionalität gebunden. Die Reaktion muss in einem angemessenen Verhältnis zur vorausgegangenen Attacke stehen.

Die Definition der „extremen Umstände“ ist nun jedoch erweitert worden durch die Möglichkeit von Cyberangriffen. Künftig dürfen auch zerstörerische Angriffe auf Amerikas Infrastruktur atomar geahndet werden. Der Krieg der Knöpfe: Schon seit Jahren warnt das Pentagon vor Horrorszenarien wie einem Hackerangriff auf Atomkraftwerke, auf Energie- und Wasserversorgungsanlagen von Großstädten. Die Verwundbarkeit durch Viren und Hacker ist groß. 2,5 Milliarden Menschen haben weltweit bereits einen Internet-Zugang, von der Verkehrslenkung bis zur Steuerung eines Flugzeugträgers sind fast alle Bereiche des Lebens in einem modernen Staat digitalisiert.

Mutmaßlich Nordkoreaner knackten Sony-Pictures

Den Chinesen war es schon vor 14 Jahren gelungen, amerikanische Regierungscomputer und Rüstungsunternehmen zu infiltrieren („Titan Rain“). Mutmaßlich russische Hacker drangen im April 2007 in estnische Webseiten von Regierung, Banken, Ministerien und Zeitungen ein („Web War 1“). Mutmaßlich Nordkoreaner knackten Sony-Pictures, Wikileaks veröffentliche 250.000 Dokumente aus dem US-Außenministerium. Bislang beschränkten sich die Angriffe zwar auf Sabotage und Spionage. Das aber schließt die Möglichkeit eines Angriffs auf lebenswichtige Infrastrukturen nicht aus. Maus und Tastatur sind längst mächtigere Waffen als Panzer und Rakete. US-Geheimdienste sind schon seit Jahren davon überzeugt, dass Cyberkrieger ihr Land stärker gefährden als islamistische Terrororganisationen.  

Wie aber schreckt man potenzielle Cyberangreifer ab? Reichen Defensivmaßnahmen aus? Die Anti-Cyberkriegsbehörde „United States Cyber Command“ wird zwar laufend ausgebaut, aber kaum ein Experte hält das für einen ausreichenden Schutz. Daher die Forderung nach einer Ergänzung der Sicherheitsmaßnahmen durch Einbindung von Cyberangriffen in die nukleare Abschreckung. Das verletzt das Prinzip der Proportionalität. Auf diesen Einwand reagieren US-Strategen mit folgendem Szenario: Was tun, wenn etwa Nordkorea einen Cyberangriff auf eine amerikanische Großstadt unternimmt mit Tausenden von Toten? Die angemessene Antwort wäre, eine nordkoreanische Stadt mit Cyberwaffen lahmzulegen. Das aber würde, wegen der weitaus kleineren digitalen Infrastruktur Nordkoreas weitaus weniger Opfer zur Folge haben.

Militärische Gigantomanie der Trump-Regierung

Cyberangriffe sind eine Form der asymmetrischen Kriegsführung. Die Rivalen wiederum sind asymmetrisch verwundbar – je moderner, das heißt digitalisiert, desto verletzlicher. Außerdem lässt sich oft nicht mit Gewissheit sagen, woher ein Angriff kam. Vor einem ähnlichen Problem standen die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Auch Terror ist eine Form der asymmetrischen Kriegsführung, für die nur selten Staaten zur Verantwortung gezogen werden können. In beiden Fällen bedarf es vor allem umfangreicher Defensivmaßnahmen, die nur ergänzt werden können durch abschreckende Drohungen.

Mit guten Gründen lässt sich die militärische Gigantomanie der Trump-Regierung kritisieren. Raketen, Raketenabwehrsysteme, Kampfflugzeuge, Schiffe und taktische Atomwaffen: Das ist vor allem alte sicherheitspolitische Schule. Nur ein Bruchteil des Pentagon-Budgets ist für die Cyberabwehr vorgesehen. Deren Kapazitäten aber dürften im Konfliktfall entscheidend sein. Die größte Gefahr dürfte künftig von einem Terror-Cyber-Amalgam ausgehen – von nichtstaatlichen Terrororganisationen, die sich der Methoden des Cyberwars bedienen. Gegen die nützt nukleare Abschreckung gar nicht.

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