zum Hauptinhalt
Die New Yorker Börse im Dezember 2016. Ein Ausbau der Digitalwirtschaft führt zur Verlagerung hin zu Kapitaleinkommen.

© Reuters/Andrew Kelly

Neue Studie warnt: Die Digitalisierung befeuert die Ungleichheit

Der digitale Wandel führt nicht zu Monopolisierung, sehr wohl aber zu einer ungleichen Verteilung von Vermögen. Ein Staatsfonds könnte helfen.

Die großen Digital-Giganten wie Facebook, Amazon, Google, Microsoft oder Samsung sitzen in den USA oder in Asien – in Deutschland sucht man sie vergeblich. Der Aufstieg der Digitalökonomie verändert allerdings auch in Europa unsere Art zu wirtschaften und wie Einkommen, Vermögen und Marktmacht verteilt werden.
Wie formt die Digitalisierung etwa unsere Wirtschaftsstrukturen? Wie verändert sie die Verteilung von Reichtum in der Gesellschaft? Führt sie zu einer Konzentration der deutschen Wirtschaft? Und stärkt der digitale Wandel die Rolle von Finanzmärkten? Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat sich angesehen, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die deutsche Wirtschaft hat. In einer Studie, die heute auf der FES-Konferenz „Digitaler Kapitalismus“ in Berlin vorgestellt wird und dem Tagesspiegel vorab vorliegt, untersuchten Ökonominnen und Ökonomen wirtschaftliche Transformationsprozesse, die in den vergangenen Jahren durch Digitalisierung in Deutschland ausgelöst worden sind.

Start-ups verhindern Monopolisierung

Die Forscher klärten hierfür zuerst, wie digital die deutsche Wirtschaft denn überhaupt sei. Deutsche IT-Großkonzerne, die ganzen Märkte der Digitalökonomie global dominieren, würden zwar fehlen, so die Autoren, „dennoch zeigt ein Blick auf zentrale Indikatoren, dass sich auch die deutsche Wirtschaft zunehmend digitalisiert.“ „So hat etwa die IT-Kapitalintensität in Deutschland in den letzten 15 Jahren zugenommen“, erklärt Miriam Rehm, Mitautorin und Ökonomin am Institut für Sozioökonomie in Duisburg. Auch die Investitionen in Software und Datenbanken würden steigen. Dass diese stärkere Digitalisierung automatisch zu einer stärkeren Machtkonzentration – wie in anderen Staaten – geführt hat, dafür gebe es aber „keine empirische Evidenz“. Eben genau aus dem Grund, weil die Digitalisierung bisher keine deutschen Digitalgiganten hervorgebracht habe.

Anfangs führten Start-ups zur Dekonzentration von Märkten

Ganz im Gegenteil: Von Anfang der 2000-er Jahre bis zur Finanzkrise sei „die Monopolisierung in deutschen Branchen“ tatsächlich sogar mit dem Grad der Digitalisierung gesunken. Die Forscher erklären sich das unter anderem mit der „Gründerphase der Digitalwirtschaft“ in Deutschland. Viele neue Start-ups hätten zu einer „Dekonzentration der Märkte“ beigetragen. Die Marktkonzentration in Deutschland habe in den Folgejahren der Krise allerdings insgesamt zugenommen, was aber nicht auf die Digitalisierung zurückgeführt werden könne, weil die Konzentration vor allem in Branchen mit digitalem Nachholbedarf am stärksten gestiegen sei.

Technologisierung führt zu Finanzmarktorientierung

Wo die Forscher einen eindeutigeren Zusammenhang feststellen konnten, ist eine stärke Finanzmarktorientierung der deutschen Unternehmenslandschaft im Zuge des digitalen Wandels. Dazu verglichen sie traditionelle DAX-Konzerne mit im sogenannten TecDAX gelisteten Technologieunternehmen. Hier finden sich Unternehmen aus der Biotech- und Medizintechnikbranche sowie aus den Bereichen Informationstechnologie und Telekommunikation.

Die deutschen DAX-Konzerne sind zwar, gemessen am Umsatz, viel größer (etwa zehn mal so groß), die neuen Technologieunternehmen wachsen jedoch viel schneller. Mit diesem Bedeutungsgewinn, erklären die Ökonomen, gehe auch eine stärkere Verschiebung von Real- zu Finanzvermögen einher. Bei den Beschäftigtenzahlen ist es genau umgekehrt, diese wachsen bei den aufstrebenden Digitalunternehmen viel langsamer als bei traditionellen DAX-Unternehmen.

Die zunehmende Digitalisierung und die höheren Gewinnausschüttungen bei Tech-Unternehmen würden also zu einer allgemeinen Verschiebung von Lohn- zu Kapitaleinkommen führen, folgern die Autoren. Vor allem Finanzvermögen und Aktienbesitz konzentrieren sich in Deutschland „am oberen Rand der Gesellschaft“.

„Mit der Digitalisierung, insbesondere durch die wachsende Bedeutung von Technologieunternehmen in der deutschen Wirtschaft und deren vergleichsweise starker Finanzmarktorientierung, verschärft sich diese Ungleichheit weiter“, so die Autoren. Die höheren Ausschüttungen und Bewertungsgewinne auf den Finanzmärkten würden hauptsächlich den reichsten fünf oder zehn Prozent der Haushalte zufließen.

Forscher fordern einen Staatsfonds und ein neues Steuersystem

Was also tun? Die Ökonominnen und Ökonomen leiten aus der Analyse zwei Forderungen ab: „Eine Anpassung des Steuersystems auf die Herausforderungen einer digitalisierten Wirtschaft und die Einrichtung von strategischen Staatsfonds“. Als steuerliche Maßnahme wäre etwa eine Finanztransaktionssteuer ein „sinnvolles Instrument“, um die stärker werdende Finanzmarktorientierung wieder einzudämmen und um auch in Zukunft öffentliche Leistungen finanzieren zu können. „Es kostet nur einen Knopfdruck am Computer, um auf den Cent genau alle Umsätze aus Finanztransaktionen zu berechnen“, schreiben die Autoren.

Darüber hinaus gehe es aber auch um die Frage, wie „Unternehmenseigentum gesellschaftlich gerechter verteilt“ werden kann, um nicht erst „nachträglich die technologieinduzierte Ungleichheit zu korrigieren, sondern sie bereits vor ihrer Entstehung zu bekämpfen“. Das könne etwa mit Hilfe des geforderten Staatsfonds, der Eigentum an Schlüsselindustrien und -betrieben erwirbt, und Mitarbeiterbeteiligungen an Unternehmen erreicht werden. „Der Staat ist dabei auch ein idealer Investor, weil er die Tiefe, die Breite und den langen Atem hat – drei Dimensionen, die für erfolgreiche Start-up-Investitionen notwendig sind“, so Rehm.

Zur Startseite