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Hand drauf: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (links, SPD) und der CDU-Landesvorsitzende Bernd Althusmann nach den erfolgreichen Koalitionsverhandlungen.

© Peter Steffen/dpa

Neue Regierung in Niedersachsen: Im Namen der Vernunft: SPD und CDU einigen sich auf große Koalition

Während des Wahlkampf hatten sich SPD und CDU noch heftig bekämpft - jetzt steht die große Koalition in Niedersachsen - eine der "Vernunft".

Von einer Liebesheirat wollten die beiden neuen Partner nicht viel wissen. „Ach, Liebe ist ein großes Wort", seufzte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Donnerstag in Hannover nach dem letzten Feinschliff des Vertrages für ein rot-schwarzen Bündnis lächelnd.

„Wir sind in das Ergebnis verliebt“, bekannte CDU-Chef Bernd Althusmann zurückhaltend. Beide blickten nach den viereinhalb Jahren unversöhnlicher Gegnerschaft und einem äußerst scharf geführten Wahlkampf lieber pragmatisch in die Zukunft. „Das ist eine große Koalition der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes“, sagte Weil. „Das ist eine Koalition der besonderen Verantwortung“, ergänzte Althusmann.

FDP wollte keine Ampel, die Grünen kein Jamaika

Nach dem Landtagswahlergebnis vom 15. Oktober war eine Fortsetzung von Rot-Grün trotz des triumphalen SPD-Erfolgs wegen der starken Grünen-Verluste verbaut. Die FDP erteilte ebenso so schnell wie kategorisch einer Ampel mit SPD und Grünen eine Absage; die Grünen wiederum sperrten sich gegen ein Jamaika-Bündnis mit CDU und Liberalen.

Blieb also nur die von Weil wenig geliebte Groko, wollte der strahlende Wahlsieger die Regierungsgeschäfte weiterbetreiben. Zügig und geräuschlos räumten die einstigen Widersacher dann in den vergangenen zwei Wochen echte und vermeintliche Knackpunkte vor allem bei den Themen Bildung und innere Sicherheit aus dem Weg.

„Wir staunen ein wenig über uns selbst“, kommentierte der SPD-Chef die schnelle Einigung auf das 138-seitige Vertragswerk für die nächsten fünf Jahre und konnte sich dabei einen Seitenhieb auf die schleppenden Jamaika-Sondierungen im Bund nicht verkneifen. „Vielleicht nimmt man ja das Ergebnis aus Niedersachsen als gutes Omen“, stichelte Weil in Richtung Berlin.

Kindergartenplätze künftig gebührenfrei

1000 neue Lehrer, bis zu 3000 zusätzliche Stellen bei der Polizei, zügiger Ausbau der Autobahnen, beschleunigte Strafverfahren und konsequentere Abschiebungen sowie ein neuer Feiertag sind Kernpunkte der Vereinbarungen. SPD und CDU beschlossen außerdem, die Kindergartenplätze komplett gebührenfrei zu stellen.

Bisher ist nur das dritte Jahr für Eltern kostenlos. Weil und Althusmann versprachen einen „Schulfrieden“ ohne neue Strukturdebatten. Als Kompromiss beim Streitthema Inklusion vereinbarten sie, dass die Förderschulen Lernen, deren Aus Rot-Grün eingeleitet hatte, auf Antrag der Schulträger weiterlaufen können.

Zugute kam den rot-schwarzen Delegationen auch, dass das Personaltableau jedenfalls in seinen Grundzügen früh feststand. So wird das Kabinett um ein neues Europa-Ressort auf zehn Posten plus Ministerpräsident erweitert, damit die beiden fast gleich großen Partner mit jeweils fünf auch gleich bedacht sind. Althusmann, seit der Wahl CDU-Fraktionsvorsitzender, wird Vize-Regierungschef und übernimmt das um den gesamten Digitalbereich aufgewertete Wirtschaftsressort.

Weil und Althusmann im VW-Aufsichtsrat

„Dort kann er ganz viele rote Bänder durchschneiden“, lästerte ein Großkoalitionär mit Blick auf die davon erhoffte Popularität. „Im Parlament könnte er eine solche Außenwirkung kaum erzielen.“ Entgegen seiner Ansage im Wahlkampf, einen der beiden VW-Aufsichtsratssitze des Landes einem externen Experten zu überlassen, kündigte Althusmann an, dieses Mandat neben Ministerpräsident Weil selbst wahrnehmen zu wollen.

Die CDU schickt zwei Quereinsteigerinnen an den Kabinettstisch. Die bisherige Vorsitzende des Landfrauenverbandes und Mitinhaberin eines bäuerlichen Familienbetriebes, Barbara Otte-Kinast, soll das im Agrarland Niedersachsen wichtige Landwirtschaftsministerium erhalten. Richterin Barbara Havliza, die als Vorsitzende des Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht Düsseldorf spektakuläre Terrorprozesse leitete, soll das Justizressort übernehmen.

Etwas überraschend überlässt die SPD das bisher von ihr gehaltene Finanzressort der CDU, die dieses mit ihrem Haushaltsexperten Reinhold Hilbers besetzt. Den Genossen war im Postengerangel wichtiger, dass ihr auch bundesweit bekannter Innenminister Boris Pistorius sein Amt behält.

Parteigremien müssen noch zustimmen

Dort allerdings musste dieser nach hartem Ringen beim Bereich Asyl Zugeständnisse an die Union machen: Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten, Migranten ohne Identitätsnachweis sowie Personen, die dem Dublin-Abkommen unterliegen, sollen künftig bis zu ihrer Ausreise in den sechs zentralen Aufnahmelagern bleiben. Neben dem Innenressort erhält die SPD Kultus, Umwelt, Soziales und Europa.

Ein SPD-Parteitag am Samstag und der CDU-Landesausschuss am Montag müssen den Koalitionsvertrag noch absegnen. Die Wahl des Ministerpräsidenten und die Bestätigung seines Kabinetts durch den Landtag sind für Mittwoch vorgesehen – rechtzeitig genug, um den Fristen der Landesverfassung zu genügen.

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