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Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ändert ihre Strategie.

© Johanna Geron/Reuters

Neue Proteste in Belarus: Opposition startet Frühjahrsoffensive gegen Lukaschenko

Zu den Demonstrationen gegen den Diktator kommen weniger Menschen, als im letzten Herbst. Aber die Unzufriedenheit ist geblieben.

Olga Solotar war mit ihrer Tochter auf dem Weg zur Musikschule in Minsk, als die Mitarbeiter des belarusischen Geheimdienstes KGB ihr Auto stoppten und die junge Frau aufforderten, umzukehren. Vor der Wohnung warteten weitere KGB-Mitarbeiter darauf, die Räumlichkeiten zu durchsuchen. Danach wurde die vierfache Mutter festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis Nummer 1 gebracht. So wie später auch ihr Mann. Der Vorwurf gegen die Eheleute lautet: „Protestaktivitäten“. Sie hatten eine weiß-rot-weiße Fahne ins Fenster gehängt. Weiß-Rot-Weiß sind die Farben der Protestbewegung gegen den Diktator Alexander Lukaschenko.

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Der Vorfall wird in den sozialen Netzwerken seit Tagen diskutiert, was den berüchtigten Sicherheitsorganen des Machthabers sogar recht ist. Die Aktion gegen die Familie sollte abschrecken, so wie die zahlreichen Durchsuchungen, Festnahmen und Prozesse, mit denen das Regime vor dem 25. März den Druck auf die Gegner erhöhte. Dieser Tag ist für die belarusische Opposition seit langem ein symbolisches Datum, der „Tag der Freiheit“. Am 25. März 1918 nach dem Sturz des Zarismus die unabhängige Belarusische Volksrepublik gegründet, die sich jedoch nur wenige Monate halten konnte.

Die skrupellose Gewalt hat Demonstranten abgeschreckt

In diesem Jahr sollte der „Tag der Freiheit“ zum Beginn einer Frühjahrsoffensive gegen Lukaschenko werden. In den kalten Wintermonaten waren die Menschen in Belarus nicht mehr zu Zehntausenden auf die Straße gegangen, wie in den Wochen nach der von Lukaschenko gefälschten Präsidentenwahl vom August 2020. Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja sagte sogar: „Ich muss zugeben, wir haben die Straße verloren.“ Am Donnerstag protestierten Tausende, aber nicht mehr die Massen, die Lukaschenkos Macht im letzten Jahr beenden wollten.

Das hat eine eine Reihe von Gründen. Die skrupellose Gewalt, mit der das Regime gegen die Opposition vorgeht, ist ein entscheidender, aber nicht der einzige. Mehr als 30000 Menschen sind in den vergangenen Monaten zu sogenannter administrativer Haft verurteilt worden, sie mussten für zehn oder 15 Tage ins Gefängnis. Die führenden Köpfe der Opposition wurden ins Exil gezwungen, andere, wie Maria Kolesnikowa, haben mehrjährige Haftstrafen zu erwarten. Abschreckend wirkt nicht zuletzt die „alltägliche“ Gewalt, die jeden unvermittelt treffen kann, so wie die Familie Solotar.

Tichanowskaja fordert einen Runden Tisch

Zudem ist es Lukaschenko bislang gelungen, seine Machtelite – vor allem den repressiven Sicherheitsapparat – geschlossen um sich zu scharen. Auch geben sich viele der Unzufriedenen, die im letzten Sommer und Herbst noch mitmarschiert waren, jetzt offensichtlich mit der Ankündigung Lukaschenkos zufrieden, es werde eine Verfassungsreform geben und er werde sein Amt aufgeben. Der Minsker Politologe Alexander Klaskowski meint aber: „ Die Unzufriedenheit ist geblieben, die politische Krise ist nicht vorüber, die ökonomische Situation verschlechtert sich.“ Die Zeit arbeite gegen das Regime, sagt er. Man dürfe jedoch „keine märchenhaften Siege Tichanowskajas und ihrer Mannschaft erwarten“. „Das wird noch ein längerer, schwieriger und widersprüchlicher Prozess.“

Davon geht auch die Opposition aus. Tichanowskaja will Lukaschenko zum Dialog am Runden Tisch zwingen. Im Internet wurde dafür eine Petition veröffentlicht, der sich in kürzester Zeit beinahe 800000 Menschen anschlossen. Klaskowski sieht wenig Chancen, dass sich Lukaschenko auf einen Dialog mit Tichanowskaja einlässt: „Wenn er es in dem für ihn kritischsten Moment im August, September nicht getan hat, warum sollte er es jetzt tun, wo die Straße als politischer Faktor verschwunden ist?“, fragt er. Darauf zu hoffen, bringe nichts.

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