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Krankentransport in einem Krankenhaus.

© Sebastian Gollnow/dpa

Richtwert in der Corona-Pandemie: Was an der Hospitalisierungsinzidenz so problematisch ist

Sie ist derzeit Grundlage für viele Maßnahmen, weist allerdings Schwächen auf. Eine Analyse von RKI-Daten.

Von Yannik Achternbosch

Mehr Impfungen gegen das Coronavirus führen zu weniger schweren Krankheitsverläufen. Basierend auf diesem eindeutig belegten Zusammenhang haben die Ministerpräsident:innen und die Kanzlerin am 18. November entschieden, dass die Inzidenz der Coronavirus-Neuinfektionen nicht mehr der ausschlaggebende Indikator für die Corona-Lage in Deutschland sein soll, sondern dass die Hospitalisierungsinzidenz über neue Maßnahmen zur Eindämmung des Virus entscheiden soll

Doch im neuen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 3. Dezember taucht sie nicht mehr auf: Bund und Länder kehren zur bereits zuvor maßgeblichen Sieben-Tage-Inzidenz als wesentlichen Maßstab bei der Corona-Bekämpfung zurück. So sollen ab einer Inzidenz von 350 Clubs geschlossen werden.

Die Hospitalisierungsinzidenz gibt die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Corona pro 100.000 Einwohner:innen innerhalb von sieben Tagen an. Gemeldet wird er täglich vom Robert-Koch-Institut. Bei Überschreitung der Schwellen 3, 6 und 9 in den Bundesländern können jeweils schärfere Maßnahmen verhängt werden; dies gilt auch weiter.

Im Gegensatz zur Inzidenz der Neuinfektionen, die auch milde und asymptomatische Krankheitsverläufe erfasst, soll der Indikator einen besseren Überblick über die Auslastung der Krankenhäuser bieten. Maßnahmen sollen nur noch beschlossen werden, wenn sie wirklich nötig sind, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. 

Das sind die Probleme an der Hospitalisierungsinzidenz 

Die Hospitalisierungsinzidenz ist allerdings mit einigen Problemen behaftet. Besonders häufig kritisiert wird, dass sie im Gegensatz zur Inzidenz der Neuinfektionen erst deutlich später anschlägt. Die Infizierten sind, sobald sie von der Hospitalisierungsinzidenz erfasst werden, bereits ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Das räumte am Freitag auch der scheidende Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) ein: "Der Wert läuft (...) der Dynamik hinterher, der Meldeverzug verschlimmert's", schrieb Braun bei Twitter, wo er die Rückkehr zur Sieben-Tage-Inzidenz verteidigte. "Die Neuinfektionsinzidenz ist der solideste und früheste Indikator", schrieb er.

Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt, bezeichnete die Hospitalisierungsinzidenz im Corona-Podcast des NDR als „Blick in den Rückspiegel”. Sobald Schwellenwerte bei den Hospitalisierungen überschritten worden, sei das Problem bereits sehr akut.

[Wie gut wirkt meine Corona-Impfung noch, wann brauche ich den Booster? Die Antwort gibt der Tagesspiegel-Impfschutzrechner]

Denn von einer Infektion zu einem schweren Verlauf, der eine Krankenhausbehandlung nötig macht, vergehen Tage, manchmal Wochen. Deshalb steigt die Hospitalisierungsinzidenz mit zeitlichem Abstand zu den Infektionszahlen.

Ein weiteres Problem der Hospitalisierungsinzidenz besteht darin, dass die Werte aufgrund verspäteter Meldungen nachträglich noch deutlich nach oben korrigiert werden müssen. Die folgende Grafik veranschaulicht das Problem. Sie zeigt, wie das RKI die Kennzahl für Berlin zu verschiedenen Zeitpunkten angegeben hat. Das Datum bedeutet: Das ist die Hospitalisierungsinzidenz, die an diesem Tag gemeldet wurde.

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So wird sichtbar, wie stark die Werte nachträglich nach oben korrigiert werden. Während die älteren Angaben aller Linien übereinstimmen, unterscheiden sich die aktuelleren deutlich. Am 8. November zum Beispiel gab das RKI die Hospitalisierungsinzidenz in Berlin mit 3,19 an. Am 29. November aber meldete das RKI schon eine deutlich höhere Zahl für den 8. November: 5,62.

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Offenbar waren Fälle nachgemeldet worden. Die Grafik zeigt also, wie stark die Werte nach oben korrigiert werden. Der ursprünglich gemeldete Wert der Hospitalisierungsinzidenz lag an vielen Tagen mehr als 70 Prozent unter dem korrigierten Wert mit Nachmeldungen.

Das gilt für ganz Deutschland. So meldete das RKI am 4. November beispielsweise für ganz Deutschland eine Hospitalisierungsinzidenz von 3,73. Mit Nachmeldungen wurde die bis zum 25. November auf 6,83 korrigiert. Eine Korrektur um mehr als 80 Prozent.

Was wären sinnvollere Alternativen? 

Aufgrund der genannten Probleme ist fraglich, ob die Umstellung der deutschen Corona-Politik auf die Hospitalisierungsinzidenz als wichtigster Indikator zur Eindämmung der Pandemie zielführend war. 

Im Sommer, als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf einer Pressekonferenz über mögliche Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sprach, sagte er „200 ist das neue 50”. Spahn wollte auf eine niedrigere Hospitalisierungsrate im Verhältnis zu den Neuinfektionen hinweisen, die durch die Impfung erreicht wurde.

Statt dieses neuen Grenzwerts bei der Inzidenz der Neuinfektionen entschieden sich die Ministerpräsident:innen und die Kanzlerin dann allerdings für die Hospitalisierungsinzidenz. Virologin Sandra Ciesek sagte dazu im NDR-Podcast, dass sie allerdings die „Neuinfektionen-Anzahl gekoppelt an die ITS-Belegung" als deutlich sinnvolleren Indikator ansieht. (mit dpa)

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