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Großbritanniens Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox. Sein juristisches Gutachten will die Premierministerin nicht vollständig veröffentlichen.

© Ben Stansall/AFP

Neue Gefahr für den Brexit-Deal: Theresa May hält Brexit-Gutachten zurück

Generalstaatsanwalt Cox hat ein Gutachten geschrieben. May hält den vollständigen Wortlaut zurück. Die Opposition ist empört.

Zum Beginn der entscheidenden Brexit-Debatte in Westminster am heutigen Dienstag tritt eine bereits schwer angeschlagene Regierungschefin vor die Parlamentarier des Vereinigten Königreichs. Theresa Mays höchster Rechtsberater ebenso wie ihr Brexit-Chefunterhändler haben Zweifel an dem Abkommen mit der EU geäußert, für das die Premierministerin beharrlich um Unterstützung wirbt.

Mehr als hundert Abgeordnete ihrer Konservativen Partei und praktisch die gesamte Opposition haben May bereits wissen lassen, dass sie am Dienstag nächster Woche gegen dieses Abkommen stimmen wollen. Und nun hat ausgerechnet ihr Top-Brexit-Stratege und Chefunterhändler in Brüssel, Oliver Robbins, den Vertrag als „etwas unbehaglich“ bezeichnet – und eingeräumt, dass Großbritannien auf lange Zeit in einer EU-Zollunion festsitzen könnte, wenn dieser Deal unterzeichnet wird.

In einem vertraulichen Brief an May, der dem „Daily Telegraph“ zugespielt wurde, wies Robbins die Regierungschefin darauf hin, dass der Austritts-Vertrag mit Brüssel ein „schlechtes Ergebnis“ darstelle, das weitere Kontroll-Verfahren zwischen Großbritannien und Nordirland erforderlich mache, zu „ernsten und sichtbaren Reibungen“ zwischen Großbritannien und der EU führen müsse und keinerlei Kooperation mit der EU im Sicherheitsbereich vorsehe.

Ähnliche Bedenken werden dem britischen Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox zugeschrieben. Cox, der als ranghöchster Rechtsberater der Regierung Mays Kabinett angehört, soll der Premierministerin in seinem juristischen Gutachten zum Brüsseler Vertrag klare Nachteile des Vertrags genannt haben.

"Auf unbegrenzte Zeit von der EU abhängig"

In der britischen Presse war Cox bereits mit der Bemerkung zitiert worden, Großbritannien könne „auf unbegrenzte Zeit“ von der EU abhängig bleiben. Ex- Außenminister Boris Johnson, einer der Brexit-Wortführer, bezeichnete den Deal daraufhin als „eine große Stahlfalle, die dabei ist, ihre Zähne um unsere Hinterbeine zu schließen, um uns an jedem Entkommen zu hindern“.

Um zu wissen, was der Generalstaatsanwalt der Regierung im einzelnen erklärt hat, verlangten Brexit-Hardliner und Oppositionsparteien zu Wochenenbeginn erneut die Offenlegung des von Cox angefertigten Gutachtens. In der Vorwoche hatte das Unterhaus die Regierung bereits per Beschluss dazu verpflichtet, allen Abgeordneten vollständige Einsicht in das Gutachten zu gewähren.

May aber weigerte sich auch zu Wochenbeginn noch, diesem Verlangen nachzukommen. Sie ließ nur eine Zusammenfassung des Gutachtens publizieren. Barry Gardiner, ein Labour-Sprecher, warf der Premierministerin vor, mit ihrer Weigerung „eine äußerst ernste Verfassungskrise“ zu riskieren.

Abgeordnete aller Parteien bestanden am Montag darauf, dass sie nur über Mays Vertrag mit der EU abstimmen könnten, wenn sie den präzisen Wortlaut des Gutachtens gesehen hätten. Gerüchte sprachen schon davon, ein entsprechender Verfassungskonflikt könne eine Verschiebung der Abstimmung am 11. Dezember erzwingen und so zu neuem Chaos führen.

Eine solche Möglichkeit dementierte die Regierung nachdrücklich. Theresa May forderte jedermann im Parlament auf, „jetzt nicht die Nerven zu verlieren“. Sie ließ die Frage unbeantwortet, ob sie im Falle einer Niederlage im Unterhaus nächsten Dienstag zurücktreten würde. Labour hat bereits angekündigt, dass sie bei einer Niederlage Mays einen Misstrauensantrag im Parlament einbringen will.

Zusätzliche Unruhe hat ein Streit zwischen May und ihrem Innenminister Sajid Javid geschaffen. May wollte längst schon ein neues Immigrations-Gesetz vorlegen, das dem freien Zuzug von EU-Bürgern in aller Form ein Ende setzen sollte. Javid aber möchte, aus ökonomischen Gründen, Billig-Arbeitskräfte aus der EU fürs erste weiter zulassen – bis kein Bedarf mehr besteht.

Peter Nonnenmacher

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