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Wegen der Angriffe des Regimes mussten schon Tausende Menschen ihre Häuser verlassen, Dutzende starben.

© Foto (Archiv): Mohamad Abzeee/AFP

Neue Eskalation in Syrien: Kampf um die „Wiege der Revolution“

Jahreslang herrschte im syrischen Daraa weitgehend Ruhe. Doch nun greifen Assads Truppen die frühere Oppositionshochburg wieder an – das alarmiert Israel.

„Jetzt bist du dran, Doktor.“ Diese Parole, von Jugendlichen an eine Hauswand in der syrischen Stadt Daraa gesprüht, löste vor zehn Jahren den Aufstand gegen Präsident Baschar al Assad aus, einen studierten Augenarzt. Jetzt gibt es neue Gefechte in Daara – der „Wiege der Revolution“, wie Assad-Gegner die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz an der Grenze zu Jordanien nennen.

Fast 30 Menschen wurden in den vergangenen Tagen getötet, knapp 20.000 mussten UN-Angaben zufolge aus ihren Häusern fliehen. Die Eskalation in Daraa verdeutlicht, wie wackelig Assads Herrschaft über Syrien trotz aller militärischen Erfolge der vergangenen Jahre ist.

Der Präsident hängt von seinen Unterstützern Russland und Iran ab, die teilweise konkurrierende Interessen verfolgen. Er ist zwar militärisch stärker als die diversen Oppositionsgruppen, kann den Krieg aber nicht siegreich beenden.

Im März 2011 hatte die Festnahme der minderjährigen Sprüher von Daraa die Proteste gegen das Assad-Regime ausgelöst, die auf die Hauptstadt Damaskus und andere Landesteile übersprangen. Als der Machthaber mit Gewalt reagierte, begann der Bürgerkrieg. Daraa und andere Provinzen gingen für ihn verloren.

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Der Präsident konnte sein Regime nur mit Hilfe von Russland retten, das 2015 in den Konflikt eingriff. Auch der Iran schickte eigene Kämpfer sowie Milizionäre aus Ländern wie dem Libanon, um Assad zu unterstützen. Fast eine halbe Million Menschen sind seit 2011 getötet worden, Millionen flohen ins Ausland und bis nach Europa.

Russland will verhindern, dass der Iran zu viel Einfluss gewinnt

Assads Regime konnte zwar 2018 zwar die Region Daraa zurückerobern, doch auf Druck von Moskau musste der Herrscher in Damaskus auf eine vollständige Besetzung der Provinz verzichten. Russland kam damit Forderungen von Israel entgegen, dessen Grenze nur 30 Kilometer von der Provinz entfernt ist.

Machthaber Assad will die Provinz vollständig unter Kontrolle bekommen.
Machthaber Assad will die Provinz vollständig unter Kontrolle bekommen.

© Anwar Amro/AFP

Der jüdische Staat will verhindern, dass sich iranische Milizen, die an der Seite von Assads Truppen kämpfen, in dem Gebiet festsetzen. Russland stimmte zu, weil es sich seine guten Beziehungen zu Israel nicht vom Syrien-Konflikt verderben lassen will. Außerdem ist es Präsident Wladimir Putin ganz recht, wenn Teherans Einfluss in Syrien gebremst wird. Genau das ist die geostrategische Schnittmenge, die Moskau mit Jerusalem verbindet.

Auch die neue Regierung in Jerusalem sieht in den Mullahs eine Bedrohung

Für Israel gehört der Kampf gegen den Iran zu den Grundelementen seiner Sicherheitspolitik. Der frühere Langzeit-Premier Benjamin Netanjahu machte es zu seiner Mission, den Einfluss Teherans in der Region mit allen Mitteln zu begrenzen. Militärschläge, Cyberattacken, Anschläge – alles wurde aufgeboten, um den Iran in die Schranken zu weisen.

Dabei war immer klar: Netanjahu wusste einen Großteil der Israelis hinter sich, die wie er in der Islamischen Republik – zumal in einer atomar aufgerüsteten – eine existenzielle Gefahr sehen. Die zahlreichen Drohungen der Mullahs, das „zionistische Gebilde“ müssen von der Landkarte getilgt werden, wird ernstgenommen. Insofern kann es nicht überraschen, dass Naftali Bennett als neuer israelischer Regierungschef genau da weitermacht, wo sein Vorgänger Netanjahu aufgehört hat.

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Denn Syrien genießt als Aufmarschgebiet des Erzfeindes und seiner Stellvertreter immer besondere Aufmerksamkeit. Und Russland lässt Israel in dieser Sache ganz bewusst gewähren. Moskau toleriert sogar Luftschläge gegen Munitionslager und andere Einrichtungen iranischer Milizen in Syrien. Dass jetzt mit Ebrahim Raisi ein Hardliner das Amt des Präsidenten bekleidet, alarmiert die Verantwortlichen in Jerusalem zusätzlich.

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Bis heute ist die syrische Armee deshalb nicht in allen Teilen von Daraa präsent. Einige Gegenden werden von Aufständischen kontrolliert. Der Widerstand in der vorwiegend sunnitischen Gegend richtet sich auch gegen die Rolle der schiitischen Iraner auf der Seite der Regierungstruppen. Immer wenn Assads Soldaten versuchen, in Daraa die Kontrolle zu übernehmen, schlagen die Rebellen zurück. Im März töteten sie in einem Hinterhalt 21 Regierungssoldaten.

Assad soll Truppen aus Idlib abziehen, um die Truppen in Daraa zu unterstützen

Auch die neuen Auseinandersetzungen – die schwersten seit 2018 – brachen nach einem Vormarsch des Regimes aus. Assads Kämpfer beschossen die südlichen Bezirke der Stadt Daraa mit Artillerie und bemühten sich, die von den Rebellen gehaltenen Stadtgebiete mit Bodentruppen zu erobern, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete. Der Angriff misslang.

Bei Gegenattacken überrannten Einheiten der Opposition mehrere Stellungen der Regierung und nahmen Dutzende Soldaten gefangen. Nach unbestätigten Berichten zieht Damaskus inzwischen Truppen von der Belagerung der Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten ab und schickt sie als Verstärkung in den Süden nach Daraa. Das spricht für weitere Kämpfe und viel Leid der Zivilisten.

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