zum Hauptinhalt
Der Antisemitismus-Beauftragte Klein riet vor Wochen Juden davon ab, an einigen Orten Deutschlands Kipa zu tragen. Immer wieder tragen Nichtjüdinnen und -juden sie aus Solidarität, wie hier in Erfurt.

© Jens-Ulrich Koch/epd

Neue Antisemitismus-Website: Gegen den Judenhass im Alltag

Ein neues Angebot im Netz soll Hilfe gegen Antisemitismus rasch zugänglich machen und die Gesellschaft als Ganzes für das Problem sensibilisieren.

Eine neue Website soll über Antisemitismus im Alltag aufklären und Menschen Hilfe bieten, die Zeugen oder Opfer von Antisemitismus werden. Die Stiftung der in Hamburg erscheinenden Wochenzeitung "Die Zeit" schaltete die Seite "www.stopantisemitismus.de" am Mittwoch frei, dem Tag des Gedenkens an Anne Frank. Die junge Frankfurter Jüdin wurde am 12. Juni 1929 geboren; sie starb wenige Wochen vor Kriegsende im KZ Bergen-Belsen.

"Es braucht die Zivilgesellschaft"

Die Website stellt 35 ausgewählte, authentische und anonymisierte Zitate vor, die die Macherinnen und Macher der Website aus ihrer Praxis kennen. Per Klick sind darunter weiterführende Informationen zu erhalten, jeweils Antworten auf die Fragen "Was steckt dahinter?", "Wie kann man reagieren?" und "Wo bekomme ich Hilfe?" Die Zitate reichen von offener Holocaust-Leugnung ("die Sechs-Millionen-Lüge") über ein "Komm her du Jude" zwischen nichtjüdischen Schülern auf einem Berliner Schulhof bis zur Bemerkung einer Polizistin im Rhein-Main-Gebiet während einer Fortbildung, sie habe "heute keine Lust, über den Holocaust zu reden" und wolle "damit" nichts zu tun haben. Auch Zitate, die jüdisch und deutsch in Form von "Wir" und "die" in Gegensatz stellen, sind darunter, etliche stammen von Lehrkräften und wurden in Schulklassen geäußert. Die angegebenen Beispiele sind nicht nur solche, die auf konkrete Situationen vorbereiten sollen, sondern bieten auch Anlaufstellen für Fort- und Weiterbildung.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein wies während der Vorstellung des Projekts darauf hin, dass die Bekämpfung von Antisemitismus zwar eine staatliche Aufgabe sei, aber der Staat "nicht alles machen" könne. Es brauche dafür auch Zivilcourage und die Zivilgesellschaft, die als Ganze betroffen sei. Zugleich sei der Kampf gegen Antisemitismus auch ein Lackmustest für den Einsatz gegen andere Formen rassistischer Hetze, antimuslimische oder gegen Roma gerichtete: "Wenn wir hier Erfolge haben, erledigen wir andere Probleme gleich mit." Nina Smidt von der "Zeit"-Stiftung betonte, die Seite sei als "Beginn eines größeren Projekts" gedacht, für das sie auf die Hilfe anderer Stiftungen hoffe. Man wolle zudem "die tollen Angebote, die es im Bereich Antisemtismusprävention gibt, stärker sichtbar machen, miteinander vernetzen und so eine Anlaufstelle für diejenigen werden, die sich informieren und Haltung im Alltag zeigen möchten, aber bisher noch nicht wissen, wie."

Erinnerung an 1933 – und ein Jahrzehnt zuvor

Idee und Konzept stammen von einer Journalistin, der Hamburgerin Sarah Levy, die als Freie für die "Zeit" schreibt. Sie wird die Seite unter dem Dach der "Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus" weiterführen, die sich seit 15 Jahren auch gegen antimuslimischen Rassismus einsetzt. An Konzept und Umsetzung waren auch der Zentralrat der Juden, der Zentralrat der Muslime, die Technische Universität Berlin mit ihrem Zentrum für Antisemitismusforschung, die Bundeszentrale für politische Bildung und Initiativen wie "Junge Muslime in Auschwitz" beteiligt. Felix Klein lobte das "großartige Ensemble von Akteuren", die alle inter- und transkulturelle und -religiöse Erfahrung haben, etliche schon viele Jahre lang.

Der Vorsitzende der Stiftung, Michael Göring, verwies während der Präsentation des Projekts auf eine historische Hamburger Erfahrung: Der Bankier Max M. Warburg wollte im Juni 1922 die Eröffnungsrede für den Übersee-Club halten - Warburg hatte den Anstoß zur Gründung des Clubs gegeben, der bis heute existiert und Inbegriff des feinen Hamburger Clubs ist. Wenige Tage zuvor war der damalige deutsche Außenminister Walter Rathenau in Berlin erschossen worden, die Mörder waren Antisemiten. Hamburgs Polizeipräsident riet dem jüdischen Warburg dringend ab, er sei ebenfalls gefährdet. "Was, wenn der Polizeipräsident sich damals entschieden hätte, Warburg zum Festvortrag zu begleiten, wenn er die ganze Zeit an seiner Seite gestanden hätte?", fragte Göring. Das Ganze sei mehr als ein Jahrzehnt geschehen, bevor Hitler an die Macht kam.

Die Geschichte verlief anders: Warburg folgte dem Rat des obersten Polizeibeamten und schickte einen Stellvertreter, der seine Rede verlas. Er selbst emigrierte 1938 in die USA und starb 1946 im Exil.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false