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Meinungsfreiheiet? Demokratie? So viele Dinge, über die man unterschiedlicher Ansicht sein kann.

© Sebastian Gabsch PNN

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit: Bitte rechts abbiegen

Eine Initiative von Wissenschaftlern wehrt sich gegen ideologische Beschränkungen im akademischen Diskurs. Darunter sind auch neurechte Zündler. Ein Kommentar.

Von Gregor Dotzauer

Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert sie allen Forschenden und Lehrenden, solange sie sich in Verfassungstreue üben. Das heißt: In einem Rechtsstaat sollte sie sich auf allen Ebenen durchsetzen lassen. Gerade im innerdemokratischen Gebälk von Universitäten knirscht es aber seit einer Weile gewaltig. Studierende stellen Professorinnen und Professoren immer wieder an den Pranger, weil diese angeblich oder tatsächlich die Werte eines gendertheoretisch und postkolonial geschulten Denkens ignorieren: Sie fühlen sich offen beleidigt oder „Mikroaggressionen“ ausgesetzt.

Ein Klima zu schaffen, in dem sich das ruhig und vernünftig erörtern lässt, ist eine Aufgabe, die auch jenseits des akademischen Milieus einer Gesellschaft nur nützen kann: Die unheimliche Allianz linker und rechter Identitätsvorstellungen im Kampf gegen universalistische Maßstäbe zu durchbrechen, wäre nur eine Hoffnung: Es gibt, im Abgrenzungsbedürfnis von Minderheiten, auch einen linken Ethnopluralismus, wie Identitäre ihre Vision nennen.

Insofern ist es gut, dass die Migrationsforscherin Sandra Kostner – ihr jüngstes Buch heißt reichlich polemisch „Identitätslinke Läuterungsagenda“ – und der Historiker Andreas Rödder, Mitglied der CDU, ein „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ (netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de) vorgestellt haben, das sich in einem Manifest „gegen ideologisch motivierte Einschränkungen“ der Debatte wendet. Zu den Mitgliedern der ersten Stunde gehören unrechtmäßig gebrannte Kinder wie die Frankfurter Islamforscherin Susanne Schröter.

Konservative und Zündler

Zu unverdächtigen Konservativen kommt aber auch eine Reihe neurechter Zündler, etwa der Würzburger Neuhistoriker Peter Hoeres, der emeritierte Althistoriker Egon Flaig oder der Berliner Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski.

Die Liste überschneidet sich nicht unwesentlich mit derjenigen der Erstunterzeichner des „Appells für freie Debattenräume“ (idw-europe.org), der im September 2020 auch klar rechtspopulistische Unterstützer wie Monika Maron, Vera Lengsfeld oder Matthias Matussek anzog. Wenn der „Appell“ die überaus deutsche Antwort auf den auf der Website von „Harper’s Magazine“ veröffentlichten „Letter on Justice and Open Debate“ war, in dem sich kurz zuvor unbestechliche Intellektuelle von Anne Applebaum bis zu Cornel West gegen die Auswüchse der amerikanischen Cancel Culture richteten, so erinnert das neue Netzwerk an eine andere US-Initiative.

Im Juli 2020 präsentierte der australische Bioethiker Peter Singer ein „Journal of Controversial Ideas“ (journalofcontroversialideas.org), das sich der Unterstützung so prominenter Figuren wie des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers J.M. Coetzee und der britischen Schriftstellerin Susan Blackmore, einer Expertin für Bewusstseinsphilosophie, versichern konnte. Leider verzeichnet die Website bis zum heutigen Tag keinen einzigen Beitrag.

Antikonformismus kann eine schöne Tugend sein. Sie nicht denen zu überlassen, die sie sich auf die Fahne geschrieben haben, dabei aber ihr eigenes Süppchen kochen, ist die Pflicht jedes denkenden Menschen.

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