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Barack Obama und Wladimir Putin beim G20-Gipfel im Juni 2012.

© dpa

Nato und Ukraine-Krise: Russland sieht die USA als wahren Gegner

Beschließt die Nato auf ihrem Gipfel mehr Truppen für die östlichen Mitgliedstaaten, wird Russland das vor allem als feindliche Aktion der Amerikaner interpretieren. Um eine Eskalation zu vermeiden, sollten die USA direkt mit Moskau verhandeln. Ein Gastkommentar.

Sollte beim Nato-Gipfel in Wales in dieser Woche die Entscheidung fallen, die Nato-Truppenpräsenz in den östlichen Mitgliedstaaten auszubauen, so wird dies in Russland hauptsächlich als eine Entscheidung wahrgenommen werden, die auf den Einfluss der USA zurückgeht. Denn in der russischen außenpolitischen Elite wird die Nato oft mit den USA so gut wie gleichgesetzt. Die EU und ihre Mitgliedstaaten hingegen gelten, nicht nur im Nato-Kontext, als eher schwache außen- und sicherheitspolitische Akteure, die in der Regel der US-Linie folgen.

Die zu erwartenden Nato-Beschlüsse dürften von russischer Seite insofern unweigerlich als Konfrontation durch die USA und die Regierung von Präsident Barack Obama interpretiert werden. Ähnlich wird es sich mit "Rapid Trident" verhalten, einer Übung von etwa 1000 Nato-Soldaten mit der ukrainischen Armee in der Westukraine, die für die zweite Septemberhälfte geplant ist. Sie sollte verschoben werden, damit sie die angespannte Lage nicht weiter aufheizt. Verschärfend kämen unilaterale Entscheidungen der USA hinzu, der Ukraine zusätzliche militärische Hilfe anzubieten, wie von zwei republikanischen Senatoren angeregt. Einmal mehr würde so der russischen Wahrnehmung Vorschub geleistet, dass es sich bei der Krise um die Ukraine hauptsächlich um einen russisch-amerikanischen Konflikt handele

Bereits jetzt neigen einige Akteure in Russland dazu, die Krise als das Ergebnis eines Konflikts zwischen Russland und den USA zu präsentieren. Die USA werden als der Hauptverantwortliche für die Maidan-Proteste und den Regimewechsel in der Ukraine wahrgenommen. Dieser hat laut russischer Lesart eine extremistische Regierung an die Macht gebracht, die mit ihren angeblich nationalistischen oder gar faschistischen Absichten Russlands Annexion der Krim und die Entstehung einer separatistischen Bewegung im Donbass provoziert habe. Diese Interpretation folgt einer langen Tradition in Russland, die die USA als Feindbild präsentiert. Gleichzeitig werden die USA von russischen außenpolitischen Akteuren häufig als der einzige ebenbürtige Spieler in den internationalen Beziehungen angesehen; Zeichen der Anerkennung durch die USA haben für russische Politiker einen besonderen Wert. Das Verhalten der USA ist damit von großer Bedeutung für den Fortgang der Krise.

Russland dämonisiert die USA, hier droht die Eskalation

Es sollte daher der Versuch unternommen werden, eine zunehmende Dämonisierung der USA zu vermeiden, die eine weitere, für Europa bedrohliche, Eskalation nach sich ziehen könnte, auf die die EU nur noch wenig Einfluss hätte. In diesem Sinne sollten Deutschland und die EU die USA dazu drängen, einen ausgewogeneren Ansatz gegenüber Russland zu verfolgen. Die EU hat ihrerseits seit Beginn der Ukraine-Krise einen dreiteiligen Ansatz verfolgt, der aus Sanktionen, Unterstützung für die Ukraine und Verhandlungsversuchen besteht. Die von der EU, beziehungsweise führenden Mitgliedstaaten eingeleiteten Gesprächsformate stellen einen wichtigen Aspekt des Umgangs mit der Krise dar. Dieses Vorgehen ist sinnvoll und hat sich bewährt, selbst wenn es eine ständige Herausforderung bleibt, die richtige Balance zwischen den drei Komponenten zu finden.

Die USA hingegen verfolgen den dreiteiligen Ansatz nicht in gleicher Weise wie die EU, wenngleich die EU ihr Vorgehen in Sanktionsfragen immerhin eng mit den USA abstimmt und ein beachtliches Maß an Einigkeit erreicht werden konnte, was das Timing sowie die Art der Sanktionen anbelangt. Die USA waren zwar maßgeblich an Verhandlungsversuchen beteiligt, zum Beispiel bei den Genfer Gesprächen im April. Der US-amerikanische Kongress hat auch einige Hilfeleistungen für die Ukraine bewilligt, insbesondere Kredite im Wert von einer Milliarde Dollar am 27. März. Dennoch zeigen sowohl die Rhetorik als auch das Agieren der USA, dass sie heute vor allem auf Sanktionen setzen. Die anderen beiden Komponenten sind in den letzten Monaten zunehmend in den Hintergrund getreten.

Die US-Regierung sollte direkt mit Moskau verhandeln

Deutschland und die EU sollten sich bei den Vereinigten Staaten nun vor allem für einen Ausbau der Verhandlungskomponente einsetzen. Insbesondere wäre es wünschenswert, wenn sich die USA an bestehenden Formaten beteiligen, beziehungsweise selbst weitere vorschlagen würden. Dabei darf nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg verhandelt werden. Denkbar wäre etwa eine Rückkehr zum Format der Genfer Gespräche oder eine Mischung aus bi- und multilateralen Treffen. Primäres Ziel der Verhandlungen sollte es sein, mögliche Wege aus dem momentanen faktischen Kriegszustand in der Ostukraine auszuloten.

Für den Fortgang der Krise wäre neben dem Inhalt der Verhandlungen vor allem auch der Statusgewinn für Russland von Bedeutung, der aus direkten Verhandlungen mit den USA resultierte, insbesondere, wenn es sich um hochrangige Gespräche handelte. Die heutige Perzeption, dass die USA in erster Linie mit Strafmaßnahmen und militärischen Vorschlägen auftreten, könnte abgemildert werden.

Selbst wenn die russische Seite und Präsident Wladimir Putin nach einer Schwerpunktverschiebung der USA nicht zu einem Einlenken bereit sein sollten, besteht Grund zur Hoffnung, dass ein solches Vorgehen zumindest eine weitere Eskalation verhindern könnte.

Susan Stewart forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zur Innen- und Außenpolitik der Ukraine. Sie ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

Susan Stewart

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