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US-Präsident Barack Obama (r.) und Großbritanniens Noch-Premierminister David Cameron plaudern am Rande des Nato-Gipfels in Warschau.

© AFP

Nato-Gipfel in Warschau: Osteuropa im Blick

Die Nato hat die Verlegung von tausenden Soldaten nach Osteuropa beschlossen. Bei der Verstärkung übernimmt die Bundeswehr die Führung über ein Bataillon in Litauen.

Seit Montag fliegen fast pausenlos Hubschrauber rund um das Nationalstadion im Osten Warschaus. Am Freitagnachmittag kamen dort die Staats- und Regierungschefs der Nato zusammen. Noch nie hat Polen einen derart großen internationalen Gipfel organisiert. Weit über 6000 Sicherheitskräfte sollen neben US-Präsident Barack Obama 38 weitere Staats- und Regierungschef sowie 39 Verteidigungsminister beschützen. Dazu sind über 3000 Diplomaten auf jenem Gipfel, der in Nato-Kreisen bereits vor der Schlusserklärung als „historisch“ bezeichnet wird.

Erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 25 Jahren will das Nordatlantische Verteidigungsbündnis seine gegen Osten gerichtete Abschreckungsarchitektur nicht ab-, sondern ausbauen. Zur Umsetzung des Vorhabens hat die Nato die Verlegung von tausenden Soldaten nach Osteuropa beschlossen. Die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedsländer verständigten sich am Freitag bei ihrem Gipfel in Warschau darauf, jeweils ein Bataillon mit etwa 1000 Soldaten in Polen, Lettland, Litauen und Estland zu stationieren. Die Bundeswehr soll mit mehreren hundert Soldaten das Bataillon in Litauen anführen. In Polen übernehmen die USA diese Rolle, in Lettland die kanadischen Streitkräfte und in Estland ist Großbritannien verantwortlich.

Polen hatte zusammen mit den Balten schon lange für eine verstärkte Nato-Präsenz in der Region geworben. Besonders in Warschau wurde lange von einer Verlegung der ehemals in Westdeutschland stationierten US-Soldaten geträumt. Die Forderung nach einer festen Truppenpräsenz hat in Polen auch historische Wurzeln. Tief sitzt bis heute das Trauma, dass nach Hitlers Überfall auf Polen am 1. September 1939 Großbritannien und Frankreich zwar formal Vertragsverpflichtungen erfüllt und Deutschland den Krieg erklärt hatten, gleichzeitig aber niemand bereit war, den Polen Truppen zu Hilfe zu schicken.

Dass es nun in der Tat – wenn auch in sehr reduzierter Form – zu einer Nato-Präsenz in Osteuropa kommt, hat allerdings im Wesentlichen mit der russischen Annexion der Krim und der russischen Intervention im Donbass zu tun. Russlands Aggression gegen die Ukraine hat die Nato-Führungsriege auch im Westen zum Umdenken gezwungen. Allerdings wollen die 28 Nato-Mitglieder beschließen, die vier Bataillone in Polen und Baltikum rotieren zu lassen.

Aus Sicht Russlands ist die geplante Stationierung von 4000 Nato-Soldaten in Osteuropa allerdings ein Verstoß gegen die Nato-Russland-Grundakte. Darin betont das Bündnis, es wolle zu seiner Verteidigung nicht dadurch beitragen, dass es „zusätzlich substanzielle Kampftruppen dauerhaft stationiert“. Die Nato argumentiert dagegen, es sei keine dauerhafte, sondern eine rotierende Stationierung von Truppen in Osteuropa beabsichtigt, und es handele sich nicht um ein substanzielles Truppenkontingent.

Moskau hat bereits vor dem Warschauer Gipfel eine militärische Reaktion angekündigt. Russland plant, insgesamt drei weitere Divisionen – also jeweils mindestens 10 000 Soldaten – im Westen und Südwesten des Landes bis Ende des Jahres zu stationieren, wie Verteidigungsminister Sergej Schojgu im Mai mitteilte.

Ein Treffen des Nato-Russland-Rates kam vor dem Gipfel nicht mehr zustande

Ein Treffen des Nato-Russland-Rates, für das sich besonders Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier stark gemacht hatte, kam vor dem Warschauer Gipfel nicht mehr zustande. Nun sollen die Botschafter der Nato-Staaten sowie Russlands am kommenden Mittwoch in Brüssel zusammenkommen. „Unsere politische Zusammenarbeit bleibt ausgesetzt, aber wir halten Kanäle für politischen Dialog offen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kurz vor dem Gipfel in Warschau.

In der polnischen Öffentlichkeit verschwimmt bisher die Unterscheidung zwischen fester und rotierender Nato-Präsenz. Dies scheint durchaus im Sinne der Warschauer Regierung, die dem Volk den Nato-Gipfel als durchschlagenden Erfolg verkaufen will. Auf dem Gipfel muss sich die Nato auch mit der Flüchtlingskrise, dem Kampf gegen den „Islamischen Staat“, sowie der Herausforderung durch Cyberattacken und Desinformationskampagnen vor allem seitens Russlands befassen.

Der Warschauer Nato-Gipfel hatte vor seinem Beginn weniger mit den in Polen nur vereinzelt auftretenden Gegendemonstranten zu kämpfen als mit einem politischen Hickhack gegen den Gastgeber, den umstrittenen Verteidigungsminister Antoni Macierewicz. Mitte der Woche versuchte ihn die liberale Opposition ausgerechnet mit einem Verweis auf angebliche Verflechtungen mit dem russischen Geheimdienst abzusetzen. Der enge politische Weggefährte von Jaroslaw Kaczynski, dem Parteichef der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), setzt auch eigene Gipfel-Akzente: Im Eingangbereich zum Nato-Plenarsaal ließ er schaurige Trümmerplakate aufhängen, die ein angebliches russisches Attentat auf die polnische Präsidentenmaschine bei Smolensk 2010 beweisen sollen. Bei Militärappellen gedenkt das polnische Heer neuerdings nicht nur der Gefallenen im Zweiten Weltkrieg, sondern auch der Toten von Smolensk.

Die polnische Regierung war sichtlich bemüht, sich von der besten Seite zu zeigen und den Nato-Gipfel für sich zu nutzen, auch im Streit mit Brüssel. Dennoch kam auch die innenpolitische Lage in Polen zur Sprache. US-Präsident Barack Obama kritisierte nach einem Treffen mit Staatspräsident Andrzej Duda am Freitag den Zustand der Demokratie in Polen. „Ich achte die Souveränität Polens, aber ich bin über die Sackgasse im Streit um das Verfassungsgericht beunruhigt“, sagte Obama. „Als Freunde rufen wir dazu auf, die demokratischen Institutionen beizubehalten“, sagte der US-Präsident. „Rechtsstaatlichkeit, unabhängige Gerichte und Pressefreiheit sind Werte, an denen den USA sehr liegt; diese Werte sind übrigens auch im Nato-Beitrittsvertrag aufgeführt“, belehrte Obama seinen Gastgeber Duda, der bisher jedes Gesetz der rechtsnationalen Regierung kritiklos unterschrieben hatte.

Erst am Vortag hatte das von der PiS dominierte polnische Parlament ein korrigiertes Ausführungsgesetz für die Arbeit des Verfassungsgerichtes verabschiedet, das einige Empfehlungen der Venedigkommission aufnimmt. Diese Korrekturen konnten Obama aber offenbar nicht beeindrucken.

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