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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wollen Gesprächskanäle mit Russland offenhalten.

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Nato-Generalsekretär zur Russlandpolitik: Kein neuer kalter Krieg, aber...

Muskeln zeigen und Dialogbereitschaft signalisieren: Diese Doppelstrategie gegenüber Russland will die Nato auf ihrem Gipfel im Juli festlegen.

Von Michael Schmidt

Abschreckung und Dialog, Stärke demonstrieren und zugleich Gesprächsbereitschaft, wenn der andere nur will – wer sich in der Geschichte der Nato ein bisschen auskennt, fühlt sich unweigerlich an die 80er Jahre erinnert. An Nachrüstungsdebatten, friedensbewegte Großdemonstrationen und den „Nato-Doppelbeschluss“. Damals, im Dezember 1979, kündigte das größte Bündnis der Militärgeschichte die Aufstellung neuer, mit Atomsprengköpfen bestückter Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa an („Pershing II“), nannte das eine Reaktion auf die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, und verband die Aufrüstungsdrohung mit dem Entspannungsangebot, bilateral über Rüstungsbegrenzungen mit dem Warschauer Pakt zu verhandeln.

Wenn heute, Jahrzehnte später und in einer politisch, wirtschaftlich und ideologisch grundlegend veränderten Welt, der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg über eine Aufstockung der Nato-Präsenz in den baltischen Staaten und Polen räsoniert, hört sich das verblüffend ähnlich an. Ja, sagt Stoltenberg am Donnerstag in Berlin, der Nato-Gipfel in Warschau Anfang Juli wolle die Ausweitung der Militärpräsenz in den nordosteuropäischen Ländern um mehrere robuste und multinationale Bataillone beschließen. Aber, beeilt er sich zu betonen, damit reagiere das Verteidigungsbündnis nur auf das Vorgehen Russlands in den vergangenen Jahren. Diese Reaktion auf Russlands Intervention in der Ostukraine und die illegale Annexion der Krim sei „defensiv, maßvoll und angemessen“, sagt Stoltenberg. Die Nato wolle keinen Konflikt provozieren, „die Nato will Konflikte vermeiden.“ Und nein, sagt der frühere norwegische Premier und wird nicht müde, das wieder und wieder zu wiederholen, die Nato und Russland befänden sich nicht in einem neuen Kalten Krieg. Das Ziel sei vielmehr, „die Kanäle für den politischen Dialog offen zu halten“. Er fände es sogar wünschenswert und hoffe, dass es noch vor dem Nato-Gipfel in Warschau einen weiteren Nato-Russland-Rat gebe. Das höchste Dialogforum beider Seiten hatte wegen der Ukrainekrise fast zwei Jahre nicht getagt, erstmals war es im April wieder zusammengekommen.

Die Spannungen nehmen zu, sagt Stoltenberg

Kein neuer kalter Krieg also. Aber: Es habe sich auch nicht die strategische Partnerschaft mit Russland entwickelt, die man sich nach 1989/90 erhofft und zu etablieren vorgenommen hatte. Die Beziehungen zu Präsident Wladimir Putin und dem russischen Riesenreich sind tatsächlich alles andere als spannungsfrei. „Die Spannungen nehmen vielmehr zu“, sagt Stoltenberg. Er erinnert daran, dass Russland in den vergangenen Jahren seine Militärausgaben verdreifacht, die Streitkräfte modernisiert und vor allem den Willen und die Bereitschaft demonstriert habe, Recht zu brechen und Europas Nachkriegsgrenzen gegebenenfalls auch mit militärischer Gewalt zu ändern. Aus all dem ergibt sich für den Chef des westlichen Militärbündnisses quasi zwingend die Botschaft, die vom Gipfel in Warschau zumal in Richtung Osten ausgehen soll: Die Nato ist stark, ihre Abschreckungsfähigkeit glaubwürdig, ein Angriff gegen einen Verbündeten wird als ein Angriff auf die gesamte Nato verstanden.

Die Baltik-Staaten sehen sich besonders bedroht

Die früheren Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen sehen sich besonders von ihrem großen Nachbarn bedroht und fordern dauerhaft Nato-Truppen auf ihrem Territorium. Die Stationierung von Kampftruppen ist der Allianz gemäß der Nato-Russland-Grundakte allerdings nicht gestattet. Und diese Grundakte, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Stoltenberg, sei „ein wichtiges Instrument“ und werde nicht verletzt. Neben dem Osten nahmen die Kanzlerin und ihr Gast auch den Süden in den Blick, um dem Terror und der Flüchtlingskrise zu begegnen. Die irakische Regierung habe um Unterstützung bei Ausbildung und Training für ihre Truppen gebeten, darüber müsse in den kommenden Wochen näher gesprochen werden, sagte die Kanzlerin. Zur Eindämmung der ungesteuerten Migration aus der Türkei nach Griechenland ist die Nato bereits in der Ägäis aktiv.

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