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Todesopfer rechter Terroristen. Der NSU tötete zehn Menschen. Kurz vor dem Urteil im Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagten zeigten Demonstranten Bilder der Ermordeten.

© imago/Christian Mang

Nationaler Gedenktag für Terroropfer: Verwirrung um die Zahl der Toten

Die Republik erinnert erstmals offiziell an einem Tag der Opfer von Terroranschlägen. Doch wie viele Menschen in Deutschland starben, bleibt unklar.

Von Frank Jansen

Der Anlass ist traurig, eine Geste gegen das Vergessen erschien überfällig. Diesen Donnerstag begeht die Bundesrepublik erstmals den „Nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt“, das soll sich auch jährlich am 11. März wiederholen. So hat es die Bundesregierung im Februar beschlossen, die Europäische Union gedenkt bereits seit 2005 der Opfer von Terroranschlägen weltweit.

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Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, und der Bundesopferbeauftragte Pascal Kober werden in Berlin, im Kronprinzenpalais, Gedenkreden halten. Der 11. März ist kein zufälliges Datum, islamistische Terroristen töteten am 11. März 2004 in Madrid mit Rucksackbomben 191 Passagiere in Vorortzügen. Mehr als 2000 wurden verletzt.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erinnerte im Februar auch an Anschläge in Deutschland, darunter die Taten in Halle, Hanau und am Breitscheidplatz in Berlin. „Wir wollen, dass die Opfer nie vergessen werden“, sagte Faeser. Doch es bleiben Fragen offen.

Die Zahl der Opfer terroristischer Gewalt in Deutschland können die Sicherheitsbehörden nicht genau benennen. Die volle Dimension des Leids, dass politisch motivierte Fanatiker Menschen zugefügt haben, bleibt unbekannt. Das Bundeskriminalamt teilte jetzt auf Anfrage des Tagesspiegels mit, seit 2001 seien bundesweit insgesamt 35 Todesopfer – 26 Männer und neun Frauen – bei Fällen „mit der Deliktsqualität Terrorismus“ erfasst. Hinzu kommen 239 Verletzte.

Im Jahr 2001 hatte die Polizei das Erfassungssystem „Politisch motivierte Kriminalität (PMK)“ eingeführt. Die vom BKA genannte Zahl von 35 Toten entstammt der zentralen PMK-Fallzahlendatei LAPOS (Lagebild Auswertung politisch motivierter Straftaten). Dorthin liefern die Landeskriminalämter ihre Erkenntnisse. Die sind offenbar lückenhaft.

Allein zehn Menschen starben bei Anschlägen des NSU

Das zeigt schon ein Blick auf die Zahl der Todesopfer rechtsextremen Terrors. Das BKA spricht von 18 Menschen – 16 Männer, zwei Frauen – die bei rechtem Terror starben. Konkrete Fälle werden nicht genannt. Bekannt ist jedoch, dass allein in vier extremen Fällen insgesamt 22 Menschen ihr Leben verloren. Das waren die zehn Todesopfer bei den Anschlägen des NSU, der von einem Neonazi ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, die zwei Toten beim Angriff eines Antisemiten auf die Synagoge in Halle und die neun Menschen aus Einwandererfamilien, die ein Rassist in Hanau erschoss.

Das BKA liefert indirekt eine Erklärung für die Defizite in der Bilanz. Terroristische Tötungsdelikte stünden insbesondere in Verbindung mit Delikten gemäß der Paragrafen 129a und 129b des Strafgesetzbuches, heißt es. Terrorismus wird dort über den Tatbestand der „Bildung terroristischer Vereinigungen“ im Inland oder im Ausland definiert. Demnach gibt es Terror strafrechtlich in Deutschland erst, wenn mindestens drei Personen agieren.

Die Fälle Lübcke, Halle und Hanau, in denen nur ein Täter schoss, sind somit kein Terror. Allerdings bleibt dann fraglich, wie die Polizei auf 18 Todesopfer rechter Terroristen seit 2001 kommt, wenn nur der NSU als terroristische Vereinigung gewertet wird.

Viele deutsche Opfer bei Terrorangriffen im Ausland

So sind auch die weiteren Zahlen offenbar nur eine Annäherung. Das BKA meldet 16 Todesopfer islamistischen Terrors seit 2001. Bei einem weiteren Toten ist der spezielle politische Hintergrund des Täters unklar. Todesopfer linken Terrors gab es seit 2001 nicht. Offen ist zudem, wieviele Deutsche im Ausland bei Terrorangriffen starben. Nach Recherchen des Tagesspiegels waren es seit der Wiedervereinigung mehr als 120.

Opfer von Anschlägen im Ausland wissen offenbar auch nicht, an wen sie sich in Deutschland wenden können. Dass die Koordinierungsstelle NOAH (Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe) der Bundesregierung "nach schweren Unglücksfällen, Terroranschlägen und Naturkatastrophen im Ausland, bei denen Deutsche betroffen sind, eine akute und längerfristige psychosoziale Versorgung" anbietet, scheint häufig unbekannt zu sein.

So klagt Ella Paravyan (25), die als Schülerin aus Berlin am 14. Juli 2016 den islamistischen Terroranschlag in Nizza überlebte, in einem Video, es gebe einen Opferbeauftragten der Bundesregierung, der nur zuständig sei für terroristische Anschläge im Inland. "Die Verantwortlichkeit ist wie so ein Mehrebenensystem, ohne zu durchblicken, welche Ebene für was zuständig ist.“

"Wir fühlen uns wie Opfer zweiter Klasse"

Shirley Zapf aus Berlin, die ihre 12. Januar 2016 in Istanbul ihre Eltern bei einem Terroranschlag verlor, sagt in einem Video, „auch wenn wir im gleichen Land leben, vielleicht sogar in derselben Stadt: es gibt Unterschiede. Die Betroffenen, die auf deutschem Boden zum Opfer geworden sind, für die gibt es hier einen Opferbeauftragten. Diesen gibt es jedoch für Leute, die im Ausland getroffen worden sind, sprich, für uns Angehörige, gibt es ihn nicht. Somit haben wir immer noch keine Person, die unser Ansprechpartner ist, über den wir uns austauschen können, der uns sagen kann, welche Möglichkeiten für uns überhaupt da sind. Ja, das macht weiterhin einsam. Wir fühlen uns von der Bundesregierung immer noch nicht aufgefangen. Wir fühlen uns manchmal wie Opfer zweiter Klasse.“

Aus Sicht von Astrid Passin, Sprecherin der Sprecherin der Opfer der Hinterbliebenen und Betroffenen des islamistischen Anschlags vom Dezember 2016 in Berlin, sollten die Kompetenzen des Opferbeauftragten der Bundesregierung erweitert werden. "Sonst landen viele Betroffene immer wieder in einer Sackgasse." (mit Raissa Brunnauer)

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