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Joe Weingarten ist SPD-Politiker aus Rheinland-Pfalz und Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium. Nun ist er Nachfolger von Andrea Nahles im Bundestag.

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Nahles-Nachfolger im Bundestag Joe Weingarten: „Warum soll ich Kriminelle nicht als Gesindel bezeichnen?“

Joe Weingarten hat Teile der SPD empört, weil er unter Flüchtlingen auch „Gesindel“ sieht. Warum spricht er so? Ein Interview mit dem neuen Abgeordneten.

Von Hans Monath

Joe Weingarten ist SPD-Politiker aus Rheinland-Pfalz und Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium. Er folgt jetzt auf die frühere SPD-Chefin Andrea Nahles im Bundestag. Nahles hat ihr Mandat zurückgegeben und zieht sich aus der Politik zurück.

Herr Weingarten, Sie werden von diesem Freitag an Bundestagsabgeordneter sein. Was hat Ihnen an Ihrer Vorgängerin Andrea Nahles imponiert?
Drei Dinge haben mir an Andrea Nahles immer imponiert, vor allem ihr Fleiß und ihr Wille, Dinge umzusetzen, die sie für richtig hielt. Zudem war sie als Politikerin sehr uneitel, eine seltene Eigenschaft in diesem Metier. Das fand ich gut.

Ihr Kreisverband will Sie nicht mehr als Direktkandidaten für die Bundestagswahl aufstellen, weil Sie Flüchtlinge in drei Gruppen einteilen. „Asylsuchende“, „Arbeitssuchende“ und „Gesindel“. Werden Sie auch in der Bundestagsfraktion für Streit sorgen?
Das ist nicht mein Ziel. Das war auch nicht mein Ziel, als ich vor einem Jahr diese Einordnung gemacht habe. Ich bin für eine offene Gesellschaft, nicht für Abschottung. Wir brauchen Zuwanderung und müssen Asylsuchenden Schutz gewähren. Aber wir müssen auch deutlich machen, dass da manchmal etwas schiefläuft und es Menschen gibt, die das Asylsystem ausnutzen. Mit diesem Begriff ist deutlich geworden, was ich meine.

Das heißt, Sie stehen zu dem Begriff „Gesindel“?
Ja. Warum soll ich Kriminelle oder Menschen, die den Sozialstaat hintergehen, nicht als „Gesindel“ bezeichnen? Das ist der Sprachgebrauch vieler unserer Wählerinnen und Wähler. Es ist mir natürlich klar, dass dieser Begriff womöglich Menschen verletzt, die ich gar nicht gemeint habe. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer etwa fanden das nicht hilfreich. Das akzeptiere ich und bedauere die Verletzung.

Ist das nicht eine Sprache, wie sie früher die Nationalsozialisten verwendeten und heute die AfD für andere Gruppen von Menschen und verwendet?
Es bringt uns nicht weiter, wenn wir in Diskussionen über heikle Themen die Keule des Nationalsozialismus' oder Linksextremismus' herausholen. Die AfD darf kein Copyright auf eine klare Sprache haben, wenn es darum geht, Missstände klar anzusprechen. Ich will ein Problem ansprechen – und das ist mir offenbar gelungen.

Sehen andere es in der SPD ähnlich wie Sie?
Ich bin überzeugt, dass ich viele aus der Sozialdemokratie hinter mir habe. Denn ich habe viel mehr positive als kritische Rückmeldungen bekommen. Da nun wieder über meine Äußerung berichtet wurde, komme ich abends kaum damit nach, die vielen ermutigenden Mails zu beantworten. Die Botschaft heißt: Endlich spricht es mal jemand klar aus. Das sagen aktive Parteimitglieder, Mandatsträger aus der Kommunalpolitik und vor allen Dingen Menschen, die lange SPD gewählt haben, aber zuletzt an uns verzweifelten. Etliche haben mir geschrieben: Jetzt könnte ich mir wieder vorstellen, euch zu wählen.

Wollen Sie das Thema Flüchtlingspolitik nun auch in der Bundestagsfraktion als Abgeordneter vorantreiben?
Nein. Ich bin vor allem Wirtschafts- und Technologiepolitiker. Ich beschäftige mich seit 25 Jahren mit wirtschaftspolitischen Fragen, zuletzt zehn Jahre als Leiter der Technologieabteilung des Wirtschaftsministeriums in Rheinland-Pfalz. Außerdem halte ich es für sehr wichtig, dass wir mehr für die ländlichen Räume tun. Die Bundespolitik diskutiert oft sehr Großstadt-lastig. Wir haben aber auf dem Land andere Probleme als in Berlin-Mitte. Da ist noch viel zu tun.

Wie steht es denn heute um die Wirtschaftskompetenz der Bundes-SPD?
Der wirtschaftspolitische Flügel der SPD war schon einmal stärker, das ist leider so. Wer in der SPD für marktwirtschaftliche und technologieoffene Lösungen eintritt, muss sich auch der Umverteilungsfrage stellen. Das tue ich. Ich bin sehr für Innovationen, aber ich weiß, dass unser Wirtschaftssystem auch erhebliche soziale Ungleichheiten schafft. Was die SPD über Jahrzehnte, auch unter Willy Brandt und Helmut Schmidt, stark gemacht hat, war die Verbindung von sozialer Gerechtigkeit, Innovation und Aufstiegsversprechen. Das brauchen wir wieder. Die Lösung unserer Probleme liegt nicht im Verharren, sondern in der Bereitschaft zu Veränderung.

"Haltung ist wichtig, aber sie ersetzt kein politisches Konzept"

Dann sind Sie im Wettbewerb um die Parteispitze für das Duo Klara Geywitz und Olaf Scholz?
Das ist richtig. Ich wünsche mir, dass Klara Geywitz und Olaf Scholz künftig die SPD führen. Wir brauchen die langjährige Erfahrung, das nationale und internationale Renommee des Vizekanzlers und Finanzministers. Und das verbunden mit den ganz wichtigen politischen Erfahrungen von Klara Geywitz aus den neuen Bundesländern, wo wir den von mir angesprochenen Vertrauensverlust gegenüber der Politik besonders beobachten können: zusammen sind sie ein starkes Team.

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius klagt, die SPD habe bei den Regionalkonferenzen die Themen Flüchtlingspolitik und Migration vernachlässigt. Gilt das auch über die Regionalkonferenzen hinaus?
Die Regionalkonferenzen waren für die Binnenmotivation der SPD ein Erfolg. Das hat man ja am großen Zulauf gesehen. Allerdings haben dort die sozialdemokratischen Wohlfühl-Themen dominiert. Deshalb stimme ich Boris Pistorius zu. Auch andere unangenehme Frage, etwa ob wir mit einem internationalen Militäreinsatz mit deutscher Beteiligung in Nordsyrien den Konflikt eindämmen können, haben keine Rolle gespielt – so wenig wie die Frage, wie wir die Bundeswehr finanzieren und ausrüsten wollen. Das halte ich für falsch. Wer als Kandidaten-Duo den SPD-Vorsitz übernehmen will, muss auch zu den unangenehmen Fragen Stellung beziehen.

Gilt Ihr Urteil auch über die Regionalkonferenzen hinaus für die Aufstellung Ihrer Partei in den vergangenen Jahren? 
Politik wird nie erfolgreich sein, wenn man sich nur auf die angenehmen Dinge wie etwa das Verteilen von Geld konzentriert. Das hat sich sehr deutlich in der Europawahl im Frühjahr des Jahres gezeigt. Die Wähler merken es genau, wenn jemand den harten, unangenehmen Fragen wie etwa denen nach einem gemeinsamen europäischen Militäreinsatz oder einer gemeinsamen EU-Außenpolitik ausweicht. Damit gewinnt man kein Vertrauen. Haltung ist wichtig – aber sie ersetzt kein politisches Konzept.

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