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Abdel Fattah al Sisi, Präsident von Ägypten, und Mohammad bin Salman, Kronprinz von Saudi-Arabien

© Saudi Press Agency/dpa

Naher Osten: Wie die arabische Welt an sich selbst scheitert

Autoritäre Regime, totalitäre Ideologien und Machtkämpfe: Von der Aufbruchsstimmung des Arabischen Frühlings ist wenig geblieben. Eine Analyse.

Kriege, Konflikte, Armut, Extremismus. Zerfallene, zumindest instabile Staaten wie Syrien, Irak, Jemen oder Libyen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite autoritäre Regime à la Ägypten, Saudi-Arabien und Iran: Die arabische Welt stürzt ins Chaos, vielfach herrscht Hoffnungslosigkeit gepaart mit Resignation.

Dabei sah alles vor ein paar Jahren noch so vielversprechend aus. Damals, als 2011 einige Millionen Menschen für mehr Rechte, persönliche Freiheiten und ein bisschen Wohlstand auf die Straßen gingen. Doch von der frühlingshaften Aufbruchsstimmung ist nichts geblieben. Die zarten Ansätze Richtung Modernität, Demokratie, Pluralität wurden erstickt von Gewalt, Überwachung und Repression.

Der Nahe Osten bebt

Einen neuen Nahen Osten gibt es nicht, sondern einen, der zerfällt. Und das hat Folgen. Ein „gewaltiges Beben“ erschüttert die Region, diagnostiziert der Journalist Rainer Hermann in seinem neuen Buch über die Region. Eine Rückkehr in die Epoche vor dem Beben – die bestenfalls von vermeintlicher Stabilität geprägt war – hält er für ausgeschlossen. Das Vertrauen der Bürger in ihre Führung (wenn es so etwas je gab) sei aufgebraucht.

Die Herrschenden wiederum antworten auf diese ausbleibende Gefolgschaft mit Repression. „Je repressiver ein Regime aber ist“, schreibt Hermann, „desto extremistischer wird die Alternative zu ihm und desto besseren Nährboden findet der Terror – und desto brutaler schlägt das Regime zurück. Es ist eine Spirale, die die arabische Welt nach unten zieht“.

Gesellschaftlicher Frieden? Fehlanzeige

Wer auf dieser militanten Grundlage gesellschaftlichen Frieden sucht, wird ihn nicht finden. Ebenso wenig wie eine stabile Ordnung. Stattdessen ist der Nahe Osten ein Synonym für Terrorismus, Millionen Flüchtlinge und Konflikte. Vom Geschwür der Korruption einmal ganz abgesehen.

Sind das nun die Fernwirkungen des westlichen Imperialismus und Kolonialismus, nach dessen Ideologie der Nahe Osten selbstherrlich aufgeteilt und gegängelt wurde? Das mag zum Teil zutreffen. Aber eben nur zum Teil. Denn das „Beben“, das den arabischen Patienten erfasst hat, ist sehr wohl auch hausgemacht.

Ganz oben auf der Liste der Versäumnisse steht ein Versagen der Eliten, und das gleich auf mehreren Ebenen. So wurden soziale und politische Fehlentwicklungen der Kolonialzeit nicht etwa korrigiert, sondern sogar noch verstärkt. Das gilt zum Beispiel für die Verteilung von Macht. Die blieb nämlich aus. Vielmehr ist bis heute die Entscheidungsgewalt allein auf einen kleinen Kreis beschränkt. Teilhabe? Ein Fremdwort.

Sein "Kalifat" hat die Region von Grund auf verändert: IS-Chef Abu Bakr al Bagdadi
Sein "Kalifat" hat die Region von Grund auf verändert: IS-Chef Abu Bakr al Bagdadi

© dpa

Stattdessen wird das Volk bewusst in Unmündigkeit gehalten. Willkür und Gehorsam werden eingefordert statt Verantwortung fürs Ganze. Eine selbstbewusste, gebildete und engagierte Mittelschicht existiert daher fast nirgendwo. Doch das braucht’s zur Staatswerdung und als tragfähige Basis für eine offene Gesellschaft.

Der Islam ist da weder eine Hilfe noch ein geeignetes Gegenmittel. Was nicht am Glauben als solchem liegt, sondern an den Verheerungen, die die Terrormiliz IS hinterlassen hat. Die beschränken sich nämlich nicht nur aufs Brandschatzen, Morden und abstruse Kalifatsverheißungen, sondern reichen viel tiefer.

Die Verheerungen der "Gotteskrieger"

Die Ideologie der Bärtigen, ihr gnadenloser Kampf gegen „Ungläubige“ hat den Islam pervertiert und mit Gewalt aufgeladen. Das Wüten der „Gotteskrieger“ im Namen Allahs habe den Glauben der Muslime in eine Legitimationskrise gestürzt, analysiert Martin Gehlen, einer der besten Kenner des Nahen Ostens. Zwischen „normal“ und „radikal“ gebe es inzwischen eine gefährliche Unschärfe. Eine kompromisslose Gegenbewegung lässt auf sich warten.

Radikal ist auch ein Konflikt, der die arabische Welt wie kaum ein anderer spaltet: die Rivalität zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran. Seit Jahrzehnten streiten die Großmächte um die politische und religiöse Vorherrschaft in der Region.

Iran und Saudi-Arabien belauern sich

Beide belauern und bekämpfen sich, zumeist in Stellvertreterkriegen wie dem im Jemen oder in Syrien. Zwei Systeme stehen sich dabei unversöhnlich gegenüber. Der rigide Wahhabismus der Saudis beansprucht ebenso wie die schiitische Revolution die Führungsrolle in der arabisch-muslimischen Welt. So wird ein politischer Machtkampf religiös aufgeladen und militarisiert.

An der Spitze der Widersacher stehen mit dem saudischen Thronfolger Prinz Mohammed bin Salman und Irans religiösem Führer Ajatollah Ali Chamenei Hardliner, die das Wort Kompromiss nicht kennen. Ihr Anspruch ist ein totalitärer, ideologisch wie politisch. Auch das wird dem Nahen Osten mehr und mehr zum Verhängnis.

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