zum Hauptinhalt
Mit Schlagkraft. Die Hisbollah ist längst keine Miliz mehr, sondern eine hochgerüstete Armee.

© Ali Hashisho/Reuters

Naher Osten: Israels Kampf gegen die Hisbollah-Tunnel

Israel fürchtet Tunnelattacken und will sie mit einer Militäroperation verhindern. Doch die Schiitenmiliz ist längst eine Großmacht – dank iranischer Hilfe.

Wie es aussieht, wenn die Gefahr im Anmarsch ist, zeigt eine kleines Video der israelischen Armee. Zwei Männer stapfen einen steilen, holprigen Weg in einem schlecht beleuchteten Tunnel hinauf.

Sie kommen immer näher, vor der Kamera des Militärroboters beugt sich einer der beiden nach unten, sein Gesicht kommt der Linse ganz nah. Dann explodiert etwas neben der Kamera. Funken sprühen, Rauch steigt auf. Die Männer machen kehrt und rennen den Pfad zurück.

Aufgenommen wurde der Film 25 Meter unter der Erde – in einem der entdeckten Tunnel, die vom Libanon aus bis unter israelisches Territorium führen. Bei den beiden Männern soll es sich um Hisbollah-Kämpfer handeln.

Operation "Nördliches Schild"

Gegen diese Gefahr aus dem Untergrund geht die israelische Armee nun mit schwerem Gerät vor. Seit Dienstag läuft die Militäroperation „Nördliches Schild“ mit dem Ziel, die Tunnel zu finden und dann zu zerstören. Erfahrung darin hat Israel reichlich. Die Hamas nutzt schon lange derartige Anlagen, um von Gaza aus auf israelisches Territorium zu gelangen.

Zwei Wochen soll die Aktion an der Grenze zum Libanon dauern. Bisher beschränke sich der Einsatz auf israelisches Gebiet, erklärt die Armee. Bilder zeigen Bagger und Spezialfahrzeuge nahe der neun Meter hohen Mauer, die den jüdischen Staat vor Attacken schützen soll.

Diese Sperranlage wird entlang der Grenze zum Libanon gebaut. 130 Kilometer lang soll sie werden und Schutz vor Attacken der Hisbollah – dem erklärten Todfeind Israels – bieten, zumindest oberirdisch.

Unterirdisch. Hisbollah hat Tunnel gebaut, die bis auf israelisches Gebiet reichen.
Unterirdisch. Hisbollah hat Tunnel gebaut, die bis auf israelisches Gebiet reichen.

© Israeli Defence Forces/AFP

Um die Gefahr aus dem Untergrund zu bannen, hatten die Streitkräfte bereits 2014 eine Taskforce eingerichtet, unter anderem mit Soldaten der Geheimdienstabteilung. Sie sollen Informationen über die „Angriffstunnel“ sammeln und Methoden entwickeln, dagegen vorzugehen.

Nach Angaben der Armee wurden die unterirdischen Durchgänge gebaut, damit Kämpfer der libanesischen Terrormiliz bis in israelisches Gebiet vordringen können, um Anschläge zu verüben und Zivilisten als Geiseln zu nehmen. Wie viele Tunnel über die Grenze und unter israelisches Gebiet führen, will die Armee noch nicht preisgeben.

Nur so viel: Einer der nun entdeckten Tunnel ist rund 200 Meter lang, zwei Meter breit und hoch. Er führt von der Nähe des libanesischen Dorfes Kfar Kila bis in die Nähe der israelischen Grenzstadt Metulla. Noch habe der Tunnel keine unmittelbare Gefahr für die Gemeinden im Norden dargestellt, heißt es.

Dennoch hat er etwas Beunruhigendes. Denn sein Eingang auf libanesischer Seite soll sich in einem zivilen Wohnhaus befinden. „Hisbollah begeht ein zweifaches Kriegsverbrechen: Sie zielen auf Zivilisten und verstecken sich hinter Zivilisten. Das muss laut und deutlich von allen Ländern verurteilt werden, denen Frieden, Freiheit und die menschliche Würde etwas wert sind“, sagte Benjamin Netanjahu jüngst.

Israels Premier ist inzwischen auch Verteidigungsminister. Er hatte das Amt vor gut zwei Wochen übernommen, nachdem Avigdor Lieberman aus Protest gegen den Waffenstillstand mit der Hamas zurückgetreten war.

Teile seiner Ansprache hielt Netanjahu auf Englisch, um seine Botschaft möglichst direkt auch über die Landesgrenzen hinwegzusenden: Der Iran unterstützt und finanziert den Tunnelbau. Es sei eine grobe Verletzung von Israels Souveränität sowie der UN-Resolution 1701, die nach dem Libanonkrieg im Jahr 2006 verabschiedet worden war.

Demnach darf die Hisbollah nicht in das Gebiet des Südlibanon zurückkehren. Netanjahu bestätigte auch, dass er am Montag bei seinem Treffen mit US-Außenminister Mike Pompeo über neue Sanktionen gegen die Schiitenmiliz geredet hat.

Sanktionen gegen die Miliz gefordert

Am Mittwoch telefonierte Netanjahu dann mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres und sagte ihm, er erwarte, dass die Vereinten Nationen die Verletzung der israelischen Souveränität verurteile; die Staatengemeinschaft müsse sich der Forderung anschließen, Strafmaßnahmen gegen die Hisbollah zu verhängen.

Inzwischen hat Israels Armee ihre Einheiten im Norden verstärkt und einige Bereiche zu geschlossenen Militärzonen erklärt – zur Sicherheit, falls die Hisbollah oder der Iran als deren Schutzmacht reagieren. Experten rechnen allerdings vorerst nicht mit einem Gegenschlag.

„In vielen Fällen zieht sich der Iran zurück, wenn er einer starken Opposition gegenübersteht. Es würde mich also nicht überraschen, wenn wir keine Aktion des Iran sehen werden, weil sie verstanden haben, dass die israelische Armee bereit ist zurückzuschlagen“, sagt Yaakov Amidror, ehemaliger Sicherheitsberater des Premierministers, der heute unter anderem am Jerusalem Institut für Strategische Studien forscht.

Das Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon.
Das Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon.

© Fabian Bartel

Trotzdem ist Israel beunruhigt. Und die Sorgen kommen nicht von ungefähr. Die Hisbollah ist mittlerweile keine einfache Miliz mehr, sondern sowohl eine militärische und als auch eine politische Großmacht in der Region. Experten zählen die Hisbollah längst zu den schlagkräftigsten und am besten ausgerüsteten Armeen weltweit.

Das schließt eine große Feuerkraft ein. Israels Sicherheitsbehörden zufolge verfügt die „Partei Gottes“ über mehr als 120.000 Raketen und andere Geschosse. Zumeist sind das Waffen mit einer geringen Reichweite. Doch zum Arsenal sollen auch Tausende Lang- und Mittelstreckenraketen gehören, die alle Orte des jüdischen Staats erreichen können.

Die stammen nach übereinstimmenden Berichten aus iranischen Beständen. Jahrelang wurden die Waffen über Syrien in den Libanon gebracht. Dort kämpfen Teheran und die Hisbollah als sein verlängerter Arm aufseiten von Machthaber Baschar al Assad. Israel reagiert immer wieder mit Luftschlägen auf Waffendepots und -transporte.

Deshalb ist der Iran nach Erkenntnissen der Geheimdienste dazu übergegangen, die militärische Ausrüstung für die Hisbollah per Schiff oder Flugzeug direkt in den Libanon zu schaffen.

Kampferfahrung durch den Krieg in Syrien

Doch der Krieg in Syrien spielte noch in anderer Hinsicht für die schiitischen Milizionäre eine große Rolle: Dort haben sie eine Menge Kampferfahrung gesammelt. Es sind mehre Tausend Männer, die Hisbollah in eine Schlacht gegen das „zionistische Gebilde“ schicken könnte. Das stellt selbst Israels Armee vor eine Herausforderung.

Hinzu kommt, dass die Hisbollah – gegründet nach Israels Einmarsch im Südlibanon Anfang der 80er Jahre als paramilitärische Widerstandsbewegung – tief in Libanons Politik und Gesellschaft verwurzelt ist. So hat die „Partei Gottes“ nicht nur zentrale Schaltzellen der Macht mit ihren Leuten besetzt und ist im Parlament stark vertreten.

Politisch und gesellschaftlich fest verankert

Sondern ihr ist es in den von ihr beherrschten Gegenden gelungen, ein effizientes Sozial- und Wohlfahrtssystem aufzubauen. Kliniken, Schulen, Moscheen, Kredite für Existenzgründer – die Hisbollah gehört zum unverzichtbaren Alltag gerade der verarmten Bevölkerung.

Das wiederum sichert der Schiitenorganisation Zuspruch und Unterstützung. Sollte es zum Krieg gegen die Hisbollah kommen, dürfte Israel auch viele Libanesen gegen sich haben.

Zur Startseite