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Nichts geht mehr. Innenstadt mit Ausgangssperre.

© imago images/Future Image

Nächtliches Ausgangsverbot: Der Protest gegen die Sperre hat den falschen Ton

Das Verfassungsgericht lässt die Anti-Corona-Maßnahme vorläufig bestehen. Ein nüchterner Beschluss, der überzogene Kritik daran wieder einfängt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Einiges an Prügel hat die Bundesregierung einstecken müssen für ihre Pandemiepolitik. Doch die Nummer mit den Ausgangssperren schien unverzeihlich. Sie ist das umstrittenste Einzelteil der „Bundesnotbremse“, mit der flächendeckend und unabhängig von föderalen Querschlägern das Infektionsgeschehen unter Kontrolle gehalten werden soll. Gesundheitszwecken möglicherweise indirekt dienlich, hieß es, rechtsstaatlich jedoch unerträglich.

Anderer Ansicht: Das Bundesverfassungsgericht. Mit einem Beschluss hat der Erste Senat des Gerichts mehrere Eilanträge gegen das entsprechend veränderte Infektionsschutzgesetz abgelehnt. Die Sperre bleibt damit in Kraft. Die Nachricht dürfte Kanzlerin Angela Merkel aufatmen lassen, die vielfach so dargestellt wird, als vertrete sie eine straffe Lockdown-Politik aus Lust daran, andere leiden zu lassen.

Die nächtlich Feiernden wurden als ein Risiko ausgemacht

So ist es nicht und so war es auch nicht, als die nächtlichen Sperren ins Notprogramm übernommen wurden. Das Bundesverfassungsgericht stellt nun zutreffend fest, dass sie zumindest dabei helfen könnten, Kontaktbeschränkungen wirksam durchzusetzen. Ein angenehm nüchterner Befund.

Vielleicht wird man irgendwann erwiesen haben, dass die Maßnahme weniger bringt, als heute behauptet wird. Aber dass sie von vornherein ungeeignet ist, weil man andere nicht automatisch infiziert, wenn man das Haus verlässt? Eine etwas zu schlichte pandemische Rechnung. Die nächtlich Feiernden wurden als ein Risiko ausgemacht, das auf diese Weise wirksam eingedämmt werden kann. Und doppelt verboten hält eben besser.

Das letzte Wort ist damit nicht gesprochen. Es war eine – vorläufig geltende – Eilentscheidung. Dennoch fiel sie deutlich aus, indem sie einige Akzente setzt, wie die Sperre so aussieht: Eng befristet, an Inzidenzzahlen gebunden, voller Ausnahmen. Ist das die Fessel, die mit einer verfassungsgerichtlichen Klage unbedingt gesprengt werden musste?

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Im politischen Streit wurde die Bundes-Ausgangssperre zum Symbol für Wohl und Wehe bürgerlicher Freiheit überhöht. Es ist gewiss wichtig, im Spiel der politischen Kräfte verfassungsrechtliche Bindungen deutlich zu machen. Aber solche Bindungen öffentlich lautstark zu benennen und einzufordern, verführt zuweilen auch zu einer Rhetorik, als ginge es dabei um den Untergang des Staates.

Das Resultat sind dann zur Gewohnheit werdende Formulierungen wie die, dass Geimpfte „Grundrechte zurückhaben wollen“. Als hätten sie als Ungeimpfte ihre je verloren. Juristische Kritik verliert dann ihr politisches Maß, und politisch Verirrte beglaubigen mit solchen Diktionen ihre Annahme, sie lebten entrechtet in der Diktatur. Geholfen ist damit keinem.

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