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Werner Bab hatte es sich zur Aufgabe gemacht, an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Er starb am 31. Juli in Berlin.

© Christian Ender

Nachruf: Werner Bab: Die Last der Erinnerung

Er kämpfte gegen das Vergessen. Der Holocaust-Überlebende Werner Bab berichtete in Schulen über Auschwitz – Hilfe bekam er nur wenig.

Berlin - Kurzärmelige Hemden trug Werner Bab lange nicht. Einmal wollten Kinder von ihm wissen, ob er sich eine Telefonnummer auf den Arm geschrieben habe. Damit hatten sie einen Teil seiner Erinnerung berührt, über den er lange öffentlich nicht sprach: Auschwitz. In dem nationalsozialistischen Vernichtungslager war er Häftling Nummer 136857. Das ist die Geschichte von einem Mann, der den Holocaust überlebt hat und trotz allem nach Deutschland zurückkehrte. Es ist auch die Geschichte von einem Überlebenden, der gegen das Vergessen kämpfte – und sich in den letzten Jahren seines Lebens damit nahezu alleingelassen sah.

Werner Bab war acht Jahre alt, als die Nationalsozialisten in Berlin die Macht übernahmen. Der in Oberhausen geborene Sohn einer jüdischen Familie wurde nach Kriegsbeginn in Berlin zum Arbeitsdienst verpflichtet. Immer mehr Juden wurden abgeholt. Bab wollte in die Schweiz, um der Deportation zu entgehen, doch der Fluchtversuch endete an der Grenze. Nach mehreren Monaten im Gefängnis wurde Bab nach Auschwitz gebracht. Anders als die meisten anderen Juden erlebte Bab keine Selektion an der Rampe des Vernichtungslagers. Er hatte im Gefängnis einen Schutzhaftbefehl bekommen, wegen illegalen Übertretens der Reichsgrenze. Dieses Papier rettete ihm das Leben. Die SS-Offiziere hätten erst in Berlin anfragen müssen, ob sie ihn in die Gaskammer schicken dürfen. In Auschwitz versorgte Bab die Hunde der SS-Offiziere. Auch das hat ihm wohl das Leben gerettet: Als er später auf einem Todesmarsch vor Erschöpfung nicht mehr weitergehen konnte, durfte er in einen Krankenwagen einsteigen – zusammen mit dem ihm anvertrauten Hund. Doch Babs Leidensweg war noch nicht vorbei: In den Lagern Mauthausen und Ebensee erlebte er Zwangsarbeit und Hunger, bevor er von den Amerikanern befreit wurde. Nach dem Krieg ging Bab zu seiner Mutter nach San Francisco. Bereits 1958 kehrte er nach Berlin zurück, als einziger in seiner Familie. „Ich bin deutscher als irgendjemand sonst“, sagte er.

Sehr lange sei er nicht schwimmen gegangen, wegen der Nummer auf seinem Arm. In den USA hatte er damit kein Problem, im Land der Täter dagegen schon. Dabei hat er sich später oft gewünscht, dass ihn jemand anspricht. „Es hat nie einer gefragt. Sie haben Angst gehabt, dass ich sage: ,Ich war in Auschwitz.‘ Das wollte nie einer wissen.“ Es machte ihm zu schaffen, dass eine schweigende Mehrheit damals zugesehen hatte, als die jüdischen Nachbarn abgeholt wurden, und später behauptete, von nichts gewusst zu haben. Über die Vergangenheit begann Bab erst 60 Jahre nach Kriegsende öffentlich zu reden. Er hatte sich in Berlin mit einem Autohaus eine Existenz aufgebaut und war inzwischen Rentner. Nachdem er seine Geschichte einmal jemandem anvertraut hatte, beschloss er, Schülern von den NS-Verbrechen zu erzählen. Es wurde seine Lebensaufgabe. „Es ist wichtig, dass das nicht vergessen wird“, sagte er bei einem Gespräch in seiner Wohnung vor einigen Monaten. „Man darf nicht darüber hinweggehen, als sei nichts passiert.“ In den vergangenen fünf Jahren führte Bab über 150 Zeitzeugengespräche mit mehr als 20.000 Jugendlichen. Nach ihrer Begegnung mit Bab schrieb eine Schülerin, sie habe viel gelernt, „was in keinen Geschichtsbüchern steht“. Selbst als er gesundheitlich schwer angeschlagen war und kaum noch gehen konnte, wollte er nicht aufhören. „Ich weiß, dass ich nicht mehr viel Zeit habe. Aber ich will, dass so etwas nie wieder passiert.“ Er wollte auch vor dem Rechtsextremismus warnen: „Ich habe Angst vor der Gefahr von rechts.“

Doch sein ehrenamtliches Engagement wurde schwieriger als erwartet. Im vergangenen Jahr stand es kurz vor dem Aus, weil es an Geld fehlte. „Mit meiner kleinen Rente kann ich das doch nicht bezahlen“, sagte Bab. Um Fördermittel zu bekommen, hatte er 2005 den Verein „imdialog“ gegründet. Unterstützt wurde er von Christian Ender, einem Doktoranden der Philosophie. Ender drehte einen Film über Babs Geschichte. „Auf diese Weise musste er das Erlebte nicht jedes Mal neu erzählen“, sagte Ender. Außerdem erhielt jeder Schüler nach dem Gespräch eine DVD mit dem Film.

Der kleine Verein bemühte sich jahrelang um Fördergelder, doch alle Kosten konnten dadurch nicht gedeckt werden. Der Rest wurde privat finanziert. In seinen kühnsten Träumen habe er sich nicht vorstellen können, „dass es so schwer, wenn nicht gar unmöglich ist“, Förderer für die Erinnerungsarbeit zu finden, erklärte Bab. Die höflichen Absagen, die der Verein erhalten hat, füllen einen ganzen Ordner. Große Unternehmen verwiesen darauf, dass man bereits der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Geld zur Verfügung gestellt habe. Die Stiftung, die zur Entschädigung der früheren NS-Zwangsarbeiter eingerichtet worden war, unterstützt mit mehreren Millionen Euro jährlich Projekte zur Auseinandersetzung mit der Geschichte und zugunsten von NS-Opfern. Auch Bab bekam Geld aus diesem Topf – zur Vorstellung seines Projekts im Ausland. Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden werden von der Stiftung durchaus gefördert, aber nur dann, wenn Überlebende aus dem Ausland eingeladen werden. „Aber wenn wir sagen, wir wollen nach Nürnberg, dann geht das nicht“, kritisierte Bab. Auch bei anderen Institutionen passten Babs Begegnungen mit Schülern nicht in den engen Rahmen der Förderprogramme. Es sei offensichtlich, „dass die strategischen Linien der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in Richtungen weisen, die in Ihrem Projekt nicht erkennbar sind“, schrieb die Bundeszentrale für politische Bildung. Anfragen beim Kanzleramt, bei Ministerien und Parteien führten ebenfalls nicht weiter. „Ich weiß nicht, wen ich noch fragen soll“, sagte Bab. Niemand fühlte sich für seine Sache zuständig.

Für seine Arbeit wurde Bab mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Vor fünf Jahren fuhr er mit Bundespräsident Horst Köhler nach Auschwitz. Im vergangenen Jahr schrieb er auch an den Bundespräsidenten und berichtete von seinen Problemen. Eine Antwort bekam er nicht.

Werner Bab ist am 31. Juli im Alter von 85 Jahren in Berlin gestorben. Keine zwei Wochen vor seinem Tod hatte er in Nürnberg noch über Auschwitz gesprochen.

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