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Zu Gast bei Anne Will: Sylke Tempels scharfsinnige Analysen waren gefragt.

© Jürgen Heinrich/imago

Nachruf auf Sylke Tempel: "Analytischer Scharfsinn verband sich mit großer Herzenswärme"

Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, erinnert an Sylke Tempel, die bei einem Unfall durch "Xavier" ums Leben gekommen ist.

Über Sylke Tempel in der Vergangenheitsform zu reden, fällt mir schwer. Ja, es schmerzt. Vor wenigen Tagen noch, am 3. Oktober, saßen wir in Berlin in einem Café, wie wir es so oft getan haben. Nie war es langweilig mit ihr. Wir diskutierten über das Ergebnis der Bundestagswahl, über innen- und außenpolitische Themen. Und Sylke erzählte mir von ihren Plänen, im Sommer als Thomas-Mann-Fellow in die USA zu gehen. Sie freute sich darauf.

Deutschland, Israel, Amerika: Das war das Dreieck ihrer geistigen und emotionalen Heimat – angelegt bereits in ihrer Doktorarbeit, die sie 1993 an der Bundeswehr-Universität in München über die „Beziehungen der amerikanisch-jüdischen Organisationen zur Bundesrepublik Deutschland nach 1945“ schrieb.

Deutschland, Israel, Amerika: Das war Sylke Tempels geistige und emotionale Heimat

Ich lernte Sylke kennen, als ich noch Botschafter Israels in Deutschland war. Immer enger wurde unsere Beziehung nach meinem Ausscheiden aus dem Amt. Sylke war eine der wenigen deutschen Journalisten, die eine tiefe und fundierte Kenntnis von Israel und dem Nahost-Konflikt haben. Sie liebte das Land, hatte ein großes Verständnis für dessen stets gefährdete geographische Lage. Wenn es um Israel ging, scheute Sylke in der deutschen Öffentlichkeit keine Auseinandersetzung. Sie hatte auch keine Scheu, sich damit unbeliebt zu machen, sondern stand zu ihrer Meinung und zu ihren Überzeugungen.

Jeder, der sie kannte, war beeindruckt von ihrem Intellekt, ihrem Esprit, ihrem Charme und ihrem breiten Wissen, insbesondere über außen- und sicherheitspolitische Fragen. Und von ihrer Lebensfreude, ihrem Witz.

Noch im Jahr ihrer Promotion wurde Tempel Nahost-Korrespondentin der damaligen Wochenzeitung „Die Woche“. Sie berichtete über die dramatischen Ereignisse rund um den Friedensprozess, über die Hoffnungen, die damit verbunden waren, aber auch über die Intifada und die Ermordung Jitzhak Rabins. Analytischer Scharfsinn verband sich in ihren Artikeln mit genauer Beobachtungsgabe und großer Herzenswärme.

Im Sommer 2018 wollte Sylke Tempel in die USA, als Fellow im Thomas Mann-Haus

Ihr zweites Standbein außerhalb Deutschlands wurde bald darauf die USA. Seit 1994 unterrichtete Tempel an der Berliner Außenstelle der Stanford University. Regelmäßig besuchte sie als Visiting Professor das universitäre Mutterhaus am Institute for German Studies der Stanford University in Kalifornien. Die Arbeit mit Studenten machte ihr viel Spaß, sie entsprach ihrem aufgeschlossenen, wissbegierigen und menschenzugewandten Charakter.

Im Jahre 2008 wurde Tempel Chefredakteurin der von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegebenen Zeitschrift „Internationale Politik“. Nebenbei schrieb sie weiter für andere Publikationen, arbeitete auch als regelmäßige Autorin für den „Tagesspiegel“. Immer öfter waren ihre Kenntnisse und rhetorischen Fähigkeiten im Fernsehen gefragt. Ob bei Maybrit Illner, Markus Lanz oder Anne Will: Wann immer in einer Talkshow eine klare, kluge Analyse gebraucht wurde, war Sylke Tempel ein gern gesehener Gast. Seit 2014 war sie außerdem ehrenamtliche Vorsitzende der deutschen Sektion der Organisation „Women in International Security“.

Überglücklich war ich, als Sylke Tempel sich entschied, ihre Lebensgefährtin zu heiraten. Deren Liebe füreinander strahlte über dieses Paar hinaus. Desto größer ist nun die Trauer über den Verlust. Sylke Tempel wurde am Donnerstagabend durch den Orkan „Xavier“ von einem Baum erschlagen und starb sofort. Sie wird uns sehr fehlen.

Shimon Stein war von Januar 2001 bis zum Herbst 2007 Botschafter Israels in Deutschland. Gemeinsam mit Sylke Tempel schrieb er mehrere Artikel für den Tagesspiegel.

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