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Aktivisten werben mit einer Aktion auf der Milleniumsbrücke in London für die neuen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen.

© Leon Neal/FP

Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen: Mut zu großen Aufgaben!

Der Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria schien aussichtslos – bis man ihn aufnahm. Plädoyer für Entschlossenheit gegenüber den Problemen unserer Zeit. Ein Gastkommentar.

Wir leben in einer verwobenen Welt. Nachrichten aus aller Welt erinnern uns täglich daran. Die Ebola-Epidemie in Westafrika war ein Weckruf und machte deutlich, wie lokale Bedrohungen und schwache Gesundheitssysteme Volkswirtschaften zurückwerfen und Instabilität verursachen können. Chinas verlangsamtes Wirtschaftswachstum ist überall auf der Welt spürbar. Deutschland und Europa erleben eine dramatische Zuwanderungsbewegung aus Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas, teils als Ergebnis bewaffneter Konflikte. Die Fäden sowohl der Ursachen als auch der Auswirkungen solcher Krisen verlaufen kreuz und quer über unseren gemeinsamen Globus. Dabei scheinen das menschliche Leid und die unentwirrbare Verkettung von Ursachen dieser Krisen oft so niederschmetternd, dass jede Besserung außer Reichweite scheint.

Politikerinnen und Politiker unserer Länder werden dann oft dafür kritisiert, dass sie nicht schnell genug handeln. Das hängt damit zusammen, dass es bei großen Krisen, deren Ursachen und Auswirkungen mehrere Länder betreffen, auch alle Betroffenen braucht, um eine Lösung zu finden und umzusetzen. So eine Einigkeit herzustellen kostet Zeit – gar nicht mal nur in der Politik. Bei Herausforderungen wie dem Klimawandel kann es Jahre dauern, bis man sich überhaupt auf eine Definition des Problems einigen kann. Dann eine Lösung zu versuchen und als politische Führung dafür einzustehen, erfordert Mut, denn Erfolg ist bei komplexen Unternehmungen eine keineswegs garantierte Prämie. Wir können immer auch scheitern.

Die Aids-Epidemie galt als hoffnungsloser Fall

Im Jahr 2000 schien es, als könne nichts mehr die Krankheiten Aids, Tuberkulose und Malaria aufhalten. Diese Epidemien waren eine solche komplexe, transregionale Krise, dass ihr Ausmaß und ihre Dynamik auch die optimistischsten Geister verzagen lassen konnte. Die Krankheiten stoppten nicht an Grenzen. In vielen Ländern verheerte HIV/Aids eine ganze Generation. Malaria tötete Kinder und schwangere Frauen, die ohne Zugang zu Schutz vor Moskitos oder lebensrettenden Medikamenten waren. Die Tuberkulose befiel – in „unfairer“ Weise – vor allem die Armen, so wie seit Jahrtausenden. Für die Eindämmung all dieser Pandemien gab es keine Konzepte und kaum bezahlbare Therapien.

Nelson Mandela sprach in einer berühmten Rede im Jahr 2000 in Durban über HIV von einer Tragödie ohne Beispiel, die mehr Menschenleben forderte als die Summe aller Kriege, Hungersnöte und Überschwemmungen zusammen. Die Destabilisierung ganzer Regionen galt als sichere Prognose.

Es gibt Lösungen für schwierige Probleme

Heute ist HIV/Aids nach wie vor ein ernstes Problem. Aber, was vor nur zehn Jahren, als die Epidemie auf ihrem Höhepunkt stand, nur wenige geglaubt hätten: wir haben eine Trendwende geschafft. Was war geschehen?

2002 gelang unter der Führung des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan die Einigung zur Gründung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, einer Partnerschaft von Regierungen, Privatsektor, Zivilgesellschaft und Betroffenen mit einem Ziel: In Programme zu investieren, die Aids, Tuberkulose und Malaria als Epidemien beenden sollen. Es ist dem Mut, der Sorgfalt und auch der Zahlungsbereitschaft aller Beteiligten in Nord und Süd bis heute zu verdanken, dass dieser Schritt Wirkung zeigte. Ein Bericht, der Anfang dieser Woche veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Partnerschaft des Globalen Fonds 17 Millionen Menschen das Leben gerettet hat. 27 Milliarden US-Dollar hat der Fonds seit 2002 ausgezahlt und damit Chancen und soziale Gerechtigkeit für Familien und Gemeinden in aller Welt verbessert. Mehr als ein Drittel seiner Mittel floss in den Aufbau robusterer und nachhaltigerer Gesundheitssysteme. Deutlich über die Hälfte des Geldes in Programme, die Frauen und Mädchen fördern. Wer wagt ernsthaft die Rechnung aufzumachen, wieviel Verlust und Leid der Welt dadurch erspart blieb?

Heidemarie Wieczorek-Zeul war von 1979 bis 1987 Abgeordnete des Europäischen Parlamentes und von 1987 bis 2013 Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Von 1998 bis 2009 war sie Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Gouverneurin der Weltbank. Sie engagiert sich weiter für Fragen der globalen Entwicklung und Gerechtigkeit, u.a. für die Freunde des Globalen Fonds Europa. Das Foto entstand 2007 bei einem Interview.
Heidemarie Wieczorek-Zeul war von 1979 bis 1987 Abgeordnete des Europäischen Parlamentes und von 1987 bis 2013 Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Von 1998 bis 2009 war sie Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Gouverneurin der Weltbank. Sie engagiert sich weiter für Fragen der globalen Entwicklung und Gerechtigkeit, u.a. für die Freunde des Globalen Fonds Europa. Das Foto entstand 2007 bei einem Interview.

© Thilo Rückeis

In diesen Tagen reisen Staats- und Regierungschefs aus allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nach New York, um eine Agenda zur Lösung der globalen Probleme unserer Zeit zu beschließen: die Nachhaltigkeitsziele. Schon jetzt wird die Liste der 17 Ziele als zu umfangreich kritisiert. Angesichts der bedrückenden Not, die wir an so vielen Brennpunkten unserer Welt sehen, wird das Vorhaben schon jetzt als wirkungslos belächelt. Und in der Tat: Unsere Bemühungen und Vorhaben werden wirkungslos bleiben, wenn den politisch Verantwortlichen der Mut zu ihrer Umsetzung und die Weitsicht zu ihrer Finanzierung fehlt.

Denn die Krisen von heute und gestern führen uns dramatisch vor Augen, dass wir als Bewohner dieser Erde unentwirrbar an ihrer Verursachung und ihren Auswirkungen beteiligt sind. Wenn uns auch der Mut zu ihrer Lösung eint, werden wir die großen Fragen unserer Zeit meistern. Es gibt genug Beispiele dafür, dass es geht.

Heidemarie Wieczorek-Zeul

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